Rezension

Hoffnung und Elend eines Glückssuchers

Das Leben wartet nicht - Marco Balzano

Das Leben wartet nicht
von Marco Balzano

Bewertet mit 5 Sternen

Sizilien: Ninetto erlebt die armseligste Kindheit, die man sich nur vorstellen kann. Hunger und Schläge sind Alltag. Gespielt wird auf der Straße, nur bekleidet mit einer Unterhose. Die Mutter ist nach einem Schlaganfall ein Pflegefall. Der Vater ist hart, fast brutal, und schweigsam. Dennoch wirkt Ninetto auf eine seltsame Weise glücklich, frei, ungezwungen und vor allen Dingen furchtlos. Er hat Freunde. Und er hat Lehrer Vincenzo, der in ihm mehr sieht als einen verlotterten armseligen Jungen. Und er setzt Hoffnung in die Zukunft.

Mailand: Ende der 50er Jahre beginnt ein Auswandererstrom aus dem Süden in den Norden, in die Industriestädte, auf der Suche nach Arbeit. Auch Ninetto ist dabei, mit nur 10 Jahren! Er  übernimmt für eine Wäscherei in Mailand Botengänge und schlägt sich mehr schlecht als recht durch. Mit 15 heiratet er Maddalena, und arbeitet schließlich mehr als 30 Jahre in einem Werk von Alfa Romeo, immer die gleiche Arbeit, tagaus tagein.

So beginnt die Geschichte. Eingestreut sind kurze Sequenzen, in denen Ninetto 57 Jahre alt ist, 10 Jahre im Gefängnis verbracht hatte und zu Maddalena zurückkehrt. Diese Zeitsprünge sind genial eingesetzt, um die vielen nur angedeuteten Themen zu vertiefen, die Ninetto sein Leben lang begleiten.

Dem Autor ist ein sprachliches Meisterstück gelungen! Er schlüpft sprachlich in den hoffnungsfrohen kindlichen Ninetto, der seine Welt durch Beobachtung, noch fast ganz ohne Wertung, wahrnimmt. „Kindheit … ist, wenn man innen noch sauber ist.“ Er schlüpft in den älter werdenden, sein Schicksal annehmenden Ninetto. Und er schlüpft in den strafentlassenen, verstummten Ninetto: „Rede nur, wenn die Henne pinkelt“, also nie. Er schreibt in kurzen, klaren Sätzen, die so intensiv sind, dass man sich der inneren Bilder und Gefühle nicht erwehren kann. „Hässlich wie ein Apfelbutzen…“ Und er malt in diesen geraden Sätzen eine symbolhafte Geschichte für Auswandern, Ausgrenzung, für Schuften ohne Perspektive und für die Unmöglichkeit, seinem eigenen So-Sein zu entkommen.