Rezension

Hohe Erwartungen, die nicht ganz erfüllt wurden.

Fürchtet euch - Wiley Cash

Fürchtet euch
von Wiley Cash

Im Rahmen einer Lesechallenge habe ich diesen Roman gewonnen und vom Fischer-Verlag zur Verfügung gestellt bekommen. Aufgrund zahlreicher lobender Pressestimmen im In- und Ausland war ich sehr neugierig auf das Buch, das mit dem renommierten Dagger Award für das beste Debüt ausgezeichnet wurde. Da Wiley Cash auch noch amerikanische Literatur und Creative Writing unterrichtet, war die Erwartungshaltung sehr hoch.

Bei ›Fürchtet euch‹ (Originaltitel: A Land More Kind Than Home) handelt es sich um den Debütroman von Wiley Cash. Meiner Meinung nach hätte sich der Fischer Verlag am englischen Titel orientieren sollen, der viel besser zum Inhalt passt. Das Cover ist hingegen sehr gelungen und passt zur Geschichte.

Wer der Haupt-Protagonist im Roman ist, lässt sich nicht genau sagen, da drei Personen relativ gleichberechtigt erzählen: der neunjährige Jess Hall, dessen Bruder stirbt, die Hebamme Adelaide Lyle, die sich von der Kirche abgewandt hat, und der Ermittler Clem Barefield. Die Erzählperspektiven wechseln oft unvermittelt und oft auch in der Zeitebene.

Im Mittelpunkt steht ein kleiner Ort in North Carolina. Die Bewohner sind gläubig und gehen jeden Sonntag in die kleine Kirche im Ort, in der ein seltsamer Pastor mit dunkler Vergangenheit predigt und behauptet Menschen, mit Gottes Hilfe, heilen zu können. Und das noch mit relativ unkonventionellen Mitteln: Schlangen und Gift. Als der dreizehnjährige Christopher, während seiner „Heilung“ bei einem Gottesdienst stirbt, gerät die beschauliche Welt aus den Fugen, denn zwei Leute wissen mehr, als sie zugeben: Adelaide und Jess.

 Der Roman beginnt rasant und packend wie ein Krimi oder Thriller, er zieht den Leser schnell in seinen Bann. Gleich das erste Kapitel ist sehr spannend geschrieben und erzählt, sodass man sofort weiterliest. Der Schreibstil ist flüssig und locker. Am Anfang kann man das Buch nicht mehr aus der Hand legen, es entwickelt einen starken Sog, der jedoch in der Mitte jäh abreißt, genauso wie der Spannungsbogen. Auf einmal werden Episoden aus der Vergangenheit erzählt, die sich als total unwichtig entpuppen (teilweise Rückblenden in Rückblenden) und den Lesefluss stören, weil sie weder die Geschichte vorantreiben noch zur Figurenentwicklung beitragen. Gegen Ende ärgert man sich als Leser immer öfter, da viele Dinge nicht aufgelöst und zufriedenstellend erklärt werden, stattdessen wird Zeit vergeudet mit Ereignissen, die nebensächlich und irrelevant sind. Der Mordfall an sich wird am Ende gar nicht mehr behandelt. Da kann mich auch der dramatische Showdown nicht mehr komplett trösten.

Die Figuren an sich wären stark und bildhaft beschrieben, agieren authentisch und meist glaubhaft. Als Dozent weiß Wiley Cash natürlich, wie wichtig die Figuren in einem Roman sind, man fühlt mit dem kleinen Jess, der seinen (vermutlich autistischen) Bruder verliert mit und auch mit seiner Angst, sich jemandem anzuvertrauen. Diese Passagen sind sehr einfühlsam und eindrücklich geschrieben. Jedoch scheinen sich die Figuren nur wenig zu entwickeln. Der Schreibstil bleibt durchwegs gut, flüssig, einfach und atmosphärisch dicht. Bisweilen bedient sich Cash einer beinahe poetischen (mit zahlreichen Metaphern bestückten) Sprache, die nicht überall passt. Der Autor versteht es allerdings wunderbar eine düstere Atmosphäre aufzubauen und das Leben in einem kleinen  Ort, wo jeder jeden kennt darzustellen.

Mit der Zeit habe ich den Roman nicht mehr als Krimi empfunden, sondern eher als Psychogramm einer Kleinstadt; ein Drama, vielleicht sogar eine Milieustudie. Der Roman wirkt auch sehr gut recherchiert oder er hat diese religiöse Besessenheit selbst erlebt und was dieser Umstand aus Menschen machen kann, bzw. wie (selbsternannte) Prediger, die die Gläubigkeit der einfachen Leute ausnützen und missbrauchen.

Am Ende bleibt man als Leser ein bisschen unbefriedigt zurück, da zuviele Fragen unbeantwortet bleiben, viele Fäden einfach im Sande verlaufen. Das ist schade, denn das Buch und die Geschichte hätte Potenzial zu mehr gehabt, ein paar unerwartete Wendungen hie und da hätten auch nicht geschadet, da man als Leser zu keiner Phase überrascht wurde, sondern immer zu viel über die einzelnen Personen wusste, aber andererseite keine Details über den Mordfall oder den Mörder erfuhr.

Alles in allem hat der Roman zwar unterhalten, aber teilweise enttäuscht, was sicher auch damit zusammenhing, dass man durch die Vorschusslorbeeren eine sehr hohe Erwartungshaltung beim Lesen hat.

Fazit: Ein solides, dramatisches, emotionsgeladenes und durchaus gelungenes Erstlingswerk, mit einer interessanten Geschichte, von einem Autor, der den sicheren Weg gewählt hat. Ich bin gespannt auf seinen zweiten Roman, denn ich glaube, der Autor kann mehr! Vielen Dank an den Fischer-Verlag für die unterhaltsame Lektüre!         

Prädikat: Klare Leseempfehlung!