Rezension

Holpriger, aber guter Debütroman

Es wird keine Helden geben - Anna Seidl

Es wird keine Helden geben
von Anna Seidl

Cover:
Ich finde, dass die sehr großen Buchstaben einen ein wenig erschlagen. Die rote Farbe assoziiert man bei dem bekannten Inhalt sofort mit Blut, die Schwarze hingegen eher mit der damit verbundenen Trauer.

Meinung:
Es ist nicht einfach, ein Buch mit diesem Thema kritisch zu bewerten. Es gibt viele Faktoren, die man nicht bewerten kann, weil man sich über diese Dinge kein Urteil machen kann und sollte, aber auch, weil das Thema einem die Sache nicht gerade einfacher macht.
Ich denke, kaum ein Blogger ist um dieses Buch drum herum gekommen. Das Thema, einen Amoklauf, in einem Jugendbuch zu thematisieren, ist gut und wichtig. Jeder kann sich darunter etwas vorstellen, weil Amokläufe leider keine Seltenheit mehr sind und demnach war ich gespannt, wie die Autorin, deren Debüt dieses Werk ist, mit diesem Thema umgeht und es bearbeitet.
Miriam, eine fünfzehnjährige Schülerin erlebt den Amoklauf an ihrer Schule hautnah mit. Sie ist dabei, als ihr Freund erschossen wird und muss sich den schwierigen Aufgaben stellen, wieder zurück ins Leben zu finden. Die grausamen Ereignisse spielen sich immer wieder in ihrem Kopf ab und sie weiß nicht, wie sie ohne Tobi, ihrer ersten großen Liebe, weitermachen soll.
Ich muss sagen, dass ich es mir unglaublich schwer fiel, Zugang zu Miriam zu finden. Sie war so voller Widersprüche, dass ich sie einfach nicht einschätzen kann. Mal war sie wütend, mal eigenbildet, mal trotzig, dann wieder traurig und nahbar, dann wieder so aufbrausend und verschlossen. Ich denke, dieses Abbild ist absolut normal und leider auch authentisch, für jemanden, der so ein furchtbares Ereignis miterleben musste und zudem noch mitten in der Pubertät steckt, wo sowieso alles kopfüber steht und die Welt sich schneller dreht als sonst. Deswegen möchte ich darüber überhaupt kein Urteil fällen, sondern lediglich sagen, dass ich nicht mit Miriam warm wurde und es mir schwer fiel, einen emotionalen Zugang zu ihr zu finden.
Ich denke, dass dies auch an der Kürze des Buches liegt. Trauerarbeit ist nichts, was innerhalb von zwei Wochen fertig gebracht werden kann, dieser Prozess zieht sich über mehrere Jahre hinweg und selbst dann kann er noch nicht vollständig abgeschlossen sein. Deswegen ist es vielleicht, gerade für mich, noch schwieriger gewesen, diese extremen Stimmungsumschwünge, die fast auf jeder Seite mehrmals schwankten, nachzuvollziehen. Wäre das Buch dicker gewesen, hätte man mehr in die Tiefe gehen können und mehr Emotionalität herausholen können, denke ich. Denn vielfach haben sich die Dinge, die Miriam auf dem Herzen lagen, leider wortwörtlich wiederholt und das waren Stellen, die ich gern abwechslungsreicher gestaltet gewusst hätte.
Teilweise hatte ich auch das Gefühl, dass die Randfiguren viel zu kurz kamen. Und diese Oberflächlichkeit, die nicht nur in Miriams altem Leben vorhanden war, sondern auch wie die Nebenfiguren beschrieben wurden, stößt mir sauer auf, denn so etwas mag ich nicht. Es war für mich nicht stimmig, dass Eltern es zulassen, dass ihre Tochter sich tagelang einschließt und dass sie nichts dagegen unternehmen. Miriam steht unter Schock, da könnte alles passieren. Das fand ich unlogisch und nicht sehr realistisch. Auch, dass die Mutter ihre minderjährige Tochter zum Trinken überredet war alles andere als glaubhaft.
Miriam und ihre Freundinnen werden leider in Form von Rückblicken als oberflächliche Zicken beschrieben. Sie erinnerten mich an typische Mobber, die sich nur in der Gruppe stark fühlen. Zum Ende hin reflektiert Miriam ihr Verhalten auf eine Art, die ich sehr gut fand, aber dennoch finde ich es etwas heftig, was 14-jährige in dieser fiktiven Realität schon alles erlebten. Zig Beziehungen, Partys, Saufen bis zum Abwinken, Sex ohne Ende. Ich bin ja noch nicht sehr alt, aber ist die Jugend heute so? Ist das normal? Oder wieso verhalten sich kleine pubertierende Mädchen wie 18-jährige? Das entzieht sich leider vollständig meines Verständnisses und ich denke, dass auch dieses Verhalten dazu beigetragen hat, dass ich Miriam nicht wirklich mochte.
Ich habe es auch vermisst, dass Miriams Freunde, sie alle gemeinsam, an der Trauer arbeiten und nicht nur in Rückblicken auf diese sehr einseitige Art geschildert wurden. Damit möchte ich nicht vorschreiben, wie jemand zu trauern hat, aber ich habe die Interaktion mit anderen Figuren vermisst, die über eine Seite hinausgeht. Aber das gab das Buch leider auf Grund des Umfangs nicht her.
Das Ende finde ich sehr erzwungen und es kam mir zu plötzlich. Vor allem empfinde ich es als kompletten Widerspruch zu dem, was Miriam einem das Buch über mitgeteilt hat und das war nicht stimmig.
Hinzukommend empfand ich den Schreibstil sehr unangenehm. Ich möchte hier nicht allzu kritisch sein, denn die Autorin ist jung und es ist ihr erstes Werk. Ich denke, dass sie sicherlich auf ihrem schriftstellerischen Weg dazulernen wird, aber die Umgangssprache war mir persönlich zu viel des Gutes. Sie wirkte authentisch, aber ich kann damit nichts anfangen. Auch war die Erzählung eher wie eine Aufzählung gehalten, abgehackte Sätze dominieren. Das führt auch dazu, dass man sich als Leser eher in eine Distanz begibt, was ich gerade bei so einem Thema schade finde.
Berührend waren aber teilweise die Überlegungen und Gedanken, die Miriam über das Leben, den Tod und die konfliktreichen Ereignisse anstellt, die jedem im Leben passieren können. Die Gedanken fand ich wirklich schön und sie haben einen sehr nachdenklich werden lassen. Von diesen Momenten hätte ich aber rückblickend mehr erwartet.

Fazit:
Das Thema Amoklauf wurde in meinen Augen sehr sensibel angepackt, aber leider habe ich die Emotionen vermisst. Ich konnte zu der Hauptfigur auf Grund vieler Oberflächlichkeiten keinen Zugang finden und habe einige Instanzen vermisst, die ihrem Verhalten Einhalt gebieten. Dennoch sind manche Gedanken wirklich berührend. Ein Debütroman, der ein wenig holprig ist, aber dennoch gut zu lesen war.