Rezension

Ich bin es, wenn ich zulasse, dass meine Vergangenheit mich beeinflusst ...

Vom Ende der Einsamkeit
von Benedict Wells

Bewertet mit 5 Sternen

Jules Moreau ist 11 Jahre alt, als seine Eltern tödlich verunglücken. Zusammen mit seinen beiden Geschwistern lebt er zukünftig in einem Internat, seiner Einsamkeit allein überlassen. Jules Lebensgeschichte zeigt, wie er versucht, das Schicksal zu überwinden und sich im Leben zurechtzufinden. Die Freundschaft mit Alva gibt ihm dabei Halt und zieht ihn gleichzeitig in ein Gefühlschaos.

Benedict Wells zeichnet gefühlvoll und unaufdringlich die Lebensgeschichte von Jules über einen Zeitraum von 35 Jahren. Jules ist der Erzähler seiner eigenen Geschichte. Anhand von Jahreszahlen, die den Kapiteln vorangestellt werden, kann man sich gut orientieren. Zeitsprünge im Buch lassen dem Leser Zeit, eigene Gedanken zur Handlung zu entwickeln. Metaphern, wie ein immer wiederkehrender Baum mit abgesägten Ästen, sind ein besonderes Stilmittel. Man spürt beim Lesen, dass es sich um echte Gefühle handelt und möchte sich ganze Passagen herausstreichen, weil sie so wirklich sind.

"Es war, als müsste ich für jdes Wort einen Spaten in einen gefrorenen Acker rammen."

Der Zusammenhalt der Geschwister ist ganz deutlich zu spüren. Obwohl Liz, Marty und Jules im gleichen Internat leben, haben sie keinerlei Berührungspunkte, leben in unterschiedlichen Welten, gehen getrennte Wege. Ihr Schicksal verbindet sie trotzdem über all die Jahre und auch im Erwachsenenalter treffen sie sich immer wieder, um einander beizustehen.

Ein zentrales Thema ist die Beziehung zwischen Jules und Alva. Eine leise Jugendfreundschaft, die geprägt durch Ängste und unausgesprochene Worte, sich nicht entfalten kann. Jules Verlustängste werden sehr deutlich herausgearbeitet. Er hat nie den Mut gehabt, sie für sich zu gewinnen, sondern nur Angst sie zu verlieren.

"Einmal musste sie beim Lesen lachen, und da fühlte ich mich wie auf einer nächtlichen Straße, auf der schlagartig alle Laternen angegangen waren."

"Ihre Bemerkung versank in mir wie ein Stein, den man in einen See fallen ließ".

Schicksalschläge, Abschiede, Begegnungen und bewegende Szenen, die teilweise fast schon poetisch geschildert werden, skizzieren das Leben von Jules.

Diese Geschichte benötigt Zeit, um Gedanken reflektieren zu können, begeistert mit einer wundervollen Stimmung und authentischen Schilderungen. Obwohl die Melancholie überwiegt, ist es ein sehr lebensbejahender Roman, der mich begeistert hat.