Rezension

"Ich habe Angst, dass es stimmt"

Tod von oben - Jürgen Ehlers

Tod von oben
von Jürgen Ehlers

Bewertet mit 5 Sternen

Der Hamburger Autor Jürgen Ehlers, entführt uns in eine dunkle Zeit: in die Jahre 1941/42 in die von der Deutschen Wehrmacht besetzten Niederlande.
Um der drohenden Internierung aller Deutschen in England zu entgehen, lässt sich der Student Gerhard Prange vom englischen Geheimdienst als Agent anwerben, ein wenig schwingt auch der Glaube mit, etwas „Gutes zu tun“. Er soll über den Niederlanden mit dem Fallschirm abspringen und mit Gleichgesinnten eine Widerstandsorganisation gegen die Nazis aufbauen.

Gleich nach seiner Landung in der Nähe von Den Haag wird er entdeckt und verhaftet. Er entgeht der Hinrichtung nur, weil erstens, der Statthalter der Niederlande. Arthur Seyß-Inquart sein Nennonkel ist und zweitens, weil er sich von nun an gezwungenermaßen, als deutscher Spion verdingt.
Gerhard lernt Sofieke kennen und wohnt im selben Haus. Was er vorerst nicht weiß ist, dass Sofieke eine untergetauchte Jüdin ist, die mit dem Widerstand in Kontakt ist. 

Obwohl Gerhard, nun ein Doppelagent, versucht London zu warnen, werden seine chiffrierten Funksprüche scheinbar nicht beachtet. Was wird da gespielt? Nach und nach werden die abgesprungenen englischen Spione verhaftet. Manche gleich bei ihrer Landung. 
Die Lage spitzt sich dramatisch zu, als Gerhard in ein Attentat auf seinen Nennonkel verwickelt werden soll.

Meine Meinung:

Autor Jürgen Ehlers ist in seinem Roman ganz dicht bei der Wahrheit geblieben. So sind bis auf Gerhard und Sofieke bzw. deren Familien alle anderen Protagonisten historisch belegt. (siehe die Liste am Beginn des Buches)

Selbst die indifferenten Rollen. Die ein Girske, Schreieder und Christmann im wirklichen Leben gespielt haben, sind authentisch dargestellt. 
Auch die von England angeworbenen und per Fallschirm abgesetzten Spione haben wirklich gelebt. Die meisten von ihnen haben das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht erlebt.

Da denkt er nicht wirklich nach. Umso härter trifft ihn die Wahrheit, nämlich das Seyß-Inquart die Judenvernichtung befiehlt. Das Gespräch mit Dorli, Seyß-Inquarts Tochter, ist hier aufschlussreich. Die knapp 14-Jährige vermutet, dass ihr Vater ein Massenmörder ist, und fürchtet zu Recht die Wahrheit. Das Mädel wirkt klüger als Gerhard. (S. 269)

Auch die Gespräche mit Christmann, von dem man nicht weiß, auf welcher Seite (außer auf seiner eigenen) er steht, sind deutlich. Mehrmals kann Christmann helfend eingreifen. Was wird sein Lohn dafür sein?

Besonders fies ist Anton, der Spitzel, der als „hundsäugig“ beschrieben wird. 

Interessant finde ich auch die Überlegungen von Schreieder, der schon 1942 glaubt, dass eine Invasion der Alliierten an der französischen Küste erfolgen muss/wird. Alles andere mache wenig bis keinen Sinn (S.236).

Nicht ausgespart wird auch die bedenkliche Rolle des „jüdischen Rates“, der seine Glaubensbrüder in die Vernichtungslager geschickt hat, obwohl er es eigentlich schon besser wissen hätte müssen.

Gut ist auch die Animosität zwischen Abwehr unter Admiral Canaris und der SS (Heydrich, Keitel usw.) herausgearbeitet. 
Interessant ist wie sich die Menschen in ihren Alltag scheinbar gleichgültig mit den Besatzern arrangiert haben. Doch unter der Oberfläche gärt es. Aktiver und passiver Widerstand regt sich aller Orte. Der Mut der Betreuerinnen im Kinderheim, als sie die kleine Sara wieder an Gerhard und Sofieke ausfolgen, ist bewundernswert.

Gerhard macht, als er sicher ist, dass die Gerüchte rund um die Judenverfolgung stimmen, eine Wandlung durch. Hier kommt nun wieder der „Idealist“ in ihm durch, der wenigstens die Leben von Sofieke und Sara retten will.

„Man sollte keine Fragen stellen, wenn man die Antwort nicht hören will.“ (S.275)

Schreibstil:

Der ist für viele Leser wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig. Kurz, knapp, präzise ohne Schnörksel – militärisch streng eben. Selbst die aufkeimende Liebesgeschichte zwischen Gerhard und Sofieke ist karg und schmucklos.

Mir gefällt dieser Schreibstil sehr gut, da er dem Thema angepasst ist. Die Szenen, die den Büros der Wehrmacht bzw. Abwehr spielen, unterscheiden sich von der Welt außerhalb. Noch einen Tick strenger, knapper.

Beeindruckend ist auch das Cover: Der bedrohlich wirkende Schatten Flugzeugs, Fallschirmspringer und letztlich die Samen des Löwenzahns. Den interpretiere ich als Metapher für den Widerstand, der ebenso wie der Löwenzahn auf jeder noch so kleinen und unwirtlichen Stellen wachsen kann.

Bei einigen der historischen Figuren werde ich noch zusätzliches Material suchen müssen.

Fazit:

Eine gelungene Darstellung der Situation im besetzten Holland. Gerne gebe ich 5 Sterne und warte (un)geduldig auf eine Fortsetzung.