Rezension

Ich hatte Heldentaten erwartet ...

Heldentage - Sabine Raml

Heldentage
von Sabine Raml

Ein Tagebuch ist etwas sehr persönliches und man vertraut ihm viele Gedanken und Erlebnisse an, von denen sonst niemand erfährt. Auch Lea schreibt sich in „Heldentage“ ihre Probleme von der Seele. Sie berichtet von ihren Träumen und ihren scheinbar unerfüllbaren Wünschen, ihrem ersten Liebeskummer und einem Leben, das von einer alkoholabhängigen Mutter und einem egoistischen Vater geprägt wurde.

Liest man in einem fremden Tagebuch, dann erfährt man einiges über dessen Besitzer. Man ergründet seine Persönlichkeit und erfährt gut gehütete Geheimnisse. Um etwas über Leas Persönlichkeit zu erfahren, muss man als Leser jedoch etwas geduldiger sein, denn man wird ohne eine kurze Einleitung mitten ins Geschehen geworfen. Lea erzählt sehr desorganisiert, so als würde sie voraussetzen, dass der Leser ihrer Passagen genau weiß, worüber sie schreibt. Sie springt von einem Thema zum nächsten, nur um diese kurz anzureißen und dem Leser tausend Fragen zu bescheren. Nach einigen gelesenen Seiten kann man die vielen Puzzleteilchen zusammensetzen und erfährt vieles über Leas Probleme. Zugegeben, viele davon sind recht oberflächlich: Sie findet sich nicht schön. Aber einige sind schwerwiegend: Eine Erkrankung, die ihr die Luft raubt, ein Freund, der sie abserviert hat, eine alkoholkranke Mutter, die nie das Haus verlässt, und ein Vater, der lieber seinen eigenen Lebenstraum verwirklicht ohne an seine Tochter zu denken. Lea lässt nur selten den Kopf hängen und versucht sich mit ihrem Schicksal zu arrangieren.

Wenn man ein Buch mit dem Titel „Heldentage“ zur Hand nimmt, erwartet man Heldentaten. Bei dieser Lektüre finde ich den Titel jedoch etwas irreführend. Hier sucht man vergebens eine starke Persönlichkeit, die ihrem Schicksal trotzt und sich ihren Problemen stellt, um sie zu beseitigen. Lea ist meiner Meinung nach keine Heldin. Sie ist ein pubertierendes Mädchen, das viele Wünsche und Träume hat, die für sie unerreichbar scheinen. Obwohl sie ihre Probleme genauestens beschreibt, hat man das Gefühl, dass sie oft vor ihnen resigniert und vor ihnen wegläuft. Das finde ich wiederum sehr authentisch, denn man sollte sich beim Lesen immer wieder bewusst machen, dass Lea fünfzehn Jahre jung ist und keinen Halt bei ihrer Familie findet. Wie sollte sie es auch bei einer Mutter, die ihre Probleme mit Alkohol bekämpft, erlernen? Umso erstaunlicher fand ich es, dass Lea im Laufe der Geschichte eine große Entwicklung durchmacht und etwas mutiger im Umgang mit den Schwierigkeiten des Lebens wird.

Womit ich in diesem Buch nur schwer zurechtkam, war der Schreibstil von Sabine Raml. Lea darf ihre Geschichte erzählen und schreibt, wie es ihr gerade in den Sinn kommt. Manchmal etwas unorganisiert, widersprüchlich und kopflos. Die Autorin lässt Lea in ihrem Handlungsgerüst der Geschichte viele Freiheiten. In einem einfach gehaltenen Schreibstil beginnt die literarische Hauptfigur ein Thema, ohne dieses zu beenden, bevor sie sich mit einem neuen beschäftigt. Lea liebt es, ihre eigenen Sätze sarkastisch zu kommentieren und ich habe mich oft während ihres inneren Monologes gefragt, warum sie das ständig tut. Vielleicht möchte sie sich mit Selbstironie etwas unangreifbarer machen, denn es tut ja nicht so weh, als würden andere über sie scherzen. In den ersten Kapiteln möchte Raml die Intensität einiger Sätze und ihrer Bedeutung verstärken, indem sie Lea bestimmte Wörter des Öfteren wiederholen lässt – wenn sie Liebeskummer hat, schreibt sie immer dreimal den Namen des Jungen hintereinander. Aber Lea reiht nicht nur dieselben Worte aneinander – bei ihren Aufzählungen benutzt sie auch immer denselben Satzanfang. Nach der zehnten Aufzählung hatte ich dann wirklich keine Lust mehr weiterzulesen, weil sie die Ursachen ihrer Probleme sehr ausschweifend schildert. Im Laufe der Geschichte legt sie diesen Stil jedoch ab und ich wurde für mein Durchhaltevermögen belohnt, und konnte mich intensiver auf die Handlung konzentrieren. 

Sabine Raml hat in ihrem Debüt „Heldentage“ den Schwerpunkt deutlich auf Leas Persönlichkeit, den Umgang mit ihren alltäglichen Problemen und wie sie an ihnen wächst, gelegt. Alle anderen Protagonisten werden zwar sehr oft von Lea erwähnt, sie bleiben jedoch alle sehr blass und nehmen kaum an der Handlung teil. Hier blieb viel Potenzial ungenutzt.

„Heldentage“ von Sabine Raml ist eine Geschichte, die durch den brisanten Schwerpunkt und einem ausgefallenen und lockeren Schreibstil besonders jüngeren Lesern zu empfehlen ist.