Rezension

Ich sortiere jetzt meine Briefbeschwerer nach Gewicht...

Gray, 1 Audio, - Leonie Swann

Gray, 1 Audio,
von Leonie Swann

Bewertet mit 5 Sternen

Der Anthropologie-Dozent Augustus Huff hat einen Vogel. Zuerst nur im übertragenen Sinne, denn diverse Zwangsstörungen sind schon deutlich, wie Waschzwang, Angst vor Bakterien, Ordnungswahn, Sortieren der Briefbeschwerer, Kapitulation vor der Zahl 8 (und 4!)und drei Mal zu klopfen. Drei Mal die Tür abzuschließen. Professor Tick-Tick-Tick hat ihn sein Student Elliot Fairbanks genannt, jetzt ist der junge Mann aus bester Familie tot. Statt sich nur wieder Ärger einzuhandeln, weil er sich an der Uni Cambridge als nächtlicher Fassadenkletterer betätigt, hat er wohl einmal zu viel geklettert: er liegt tot neben der Kapelle. Und Huff ist plötzlich offizieller temporärer Halter von Gray, dem Graupapagei, für den Elliot eine Sondergenehmigung auf dem Campus hatte.

Gray bringt das Leben des Neurotikers durcheinander: neben diversen Kommentaren, für die man auf Amazon keine Rezension gepostet bekäme (wie F**k you oder S*x), mischt sich der Graupapagei in so ziemlich alles ein, will nicht allein gelassen werden und richtet beim Fressen gerne eine ziemliche Schweinerei an. Die Herausforderung für Huff zaubert dem Zuhörer mindestens ein Schmunzeln ins Gesicht, teils diebische Schadenfreude, oft Begeisterung. Der Vorleser bringt gerade diese Geräuschkulisse sehr gut herüber.

Doch weiteres Ungemach resultiert daraus, dass den Wissenschaftler bald Zweifel plagen: kann Elliot wirklich einen Unfall erlitten haben? Oder wäre Selbstmord wahrscheinlicher? Oder…gar…? Und warum gibt es keine ordentliche Beerdigung? Was bedeuten die versteckten Fotos? Bald ermitteln zwei Zweibeiner – im Gegensatz zu anderen Krimis mit tierischer Hauptperson wird der Papagei hier nicht vermenschlicht, aber natürlich haben die Reaktionen des Vogels einen wesentlich stärkeren Einfluss auf die Umgebung als bei anderen Tieren allein aufgrund der Sprache, verstärkt dadurch, dass die Sprachkünstler neben mehr als unpassenden Bemerkungen („völlig zermatscht“ auf der Beerdigung) auch Zufallstreffer und korrekte Aussagen („Keks“) liefern können. Darüber hinaus wurde die Erzählung auch deutlich spannender gegen Ende, als ich erwartet hatte, und hielt mich lange auf der falschen Fährte.

Die Sprache des Textes ist toll, ich „mopse“ das einmal von einer der vielen Rezensionen zum Buch als Beispiel: „Augustus guckte etwas ratlos in den Lampenschirm. Eine Glühbirne guckte ausdruckslos zurück.“ Dabei ist die Eignung gerade zum Hören sehr gut, es gibt nichts, bei dem ich gerne ein paar Seiten zurück etwas nachgelesen hätte, die Namen sind überschaubar, die „Performance“ von Gray ist garantiert gesprochen noch einmal das Sahnehäubchen. Den Schafskrimi der Autorin hatte ich einst abgebrochen, doch ist dieser Roman so goldig, dass auch die Schafe eine zweite Chance erhalten.

Einziges Mini-Manko: meines Wissens nach wird wohl im Buch davor gewarnt, jetzt gleich einen Papagei nach Hause zu holen, das fehlt LEIDER im Hörbuch. Ich möchte das daher unbedingt hinzufügen: Papageien sind Schwarmvögel, Einzelhaltung ist nicht artgerecht – andererseits sind sie bei Artgenossen extrem wählerisch. Papageien sind sehr langlebig, der „durchschnittliche“ Papagei „erlebt“ meist mehrere Halter, das Thema mit dem Zusammenleben ist NICHT nach so kurzer (!) Zeit wie bei einem Hund oder Pferd vorbei. Auch Zeitaufwand und Lärm, den so ein Tierchen produzieren kann, sollten nicht unterschätzt werden. Das beschriebene Zerlegen von Möbeln, Pflanzen, Fingern und die Schweinerei mit dem Futter sind mehr als realistisch (ich ergänze Baden, Klettern, Platzbedarf, Reinigung, sehr ätzende „Häufchen“, Zugluftempfindlichkeit, Neigung zu Neurosen – wenn man unterstellt, dass Katzen „Personal“ hätten, sind Papageien garantiert die Egozentriker-Diven unter den Tieren). Selbst bei der Haltung mit mehreren sind das keine Tiere für einen normalen Berufstätigen, sie brauchen die Beschäftigung – den Rentner werden sie allerdings wohl eher überleben. Und: nicht jeder dieser Charakterköpfe erhält Grays Sprachvermögen: ich kenne sowohl einen Vogel, der aufgrund des gelben Fahrzeuges „die Post ist da“ ankündigt (wenn auch bei jedem gelben Auto) als auch einen, der schlicht „Hallo“ als einziges spricht. Das dann dafür auch gerne stundenlang.

Also: „Gray“ sollte unbedingt einziehen mit 5 von 5 Sternen, aber als (Hör-) Buch.