Rezension

Ich wusste nicht, dass ein Buch mich wütend machen kann

For 100 Days - Täuschung - Lara Adrian

For 100 Days - Täuschung
von Lara Adrian

Bewertet mit 2 Sternen

Ich lese viel erotische Literatur und entsprechend kann ich an viele der Tropes mit einem gutmütigen Glauben rangehen - suspension of disbelief funktioniert zwar anders, aber ich habe mich arrangiert um der Geschichte Willen.

Dass Avery beim Anblick des arroganten Mannes schwach wird? Okay. Dass er sie umgekehrt genauso begehrt? Meinetwegen. Dass ein nächster gutaussehender Mann daher kommt und sexuelles Interesse zeigt? Ein wenig fragwürdig, aber noch in Ordnung. Dass sie Geheimnisse vor ihm hat, die so furchtbar sind, dass sogar wir Leser im Dunkeln gelassen werden? Gehört halt heute dazu. Dass direkt am Ende diese Geheimnisse aufgeklärt werden und dann, Hallo, Cliffhanger, neue eingeführt werden, auf der letzten Seite, und zwar in der Form "mysteriöser, bösartiger Ex?" ... Muss halt einen Folgeband verkaufen.

Wenn nicht diese Aneinanderreihung von Klischees und nur im Kontext eines Erotik-Romans überhaupt funktionierenden Bekanntschaften schlimm genug wäre, haben wir dann ganz am Ende die Eröffnung, quasi Vergewaltigung ex machina. Ich sage ja nicht, dass jeder Mensch, der mal vergewaltigt wurde, danach keinen Sex mehr will... aber come on! Eine Vergewaltigung, insbesondere durch den Stiefvater, wenn man noch jung ist, hat Auswirkungen auf das Sexualleben. Avery kann Sex in vollen Zügen genießen und mag es, wenn sie dominiert wird - okay, möglich. Es kann durchaus geschehen, dass Opfer sexueller Gewalt danach gerade die unterwürfige Rolle suchen und einen dominanten Partner brauchen. Aber dann muss man das thematisieren. Irgendwie andeuten. Irgendetwas. Aber insbesondere zu Beginn funktioniert der Sex problemlos, kein Hauch von Zögern oder unguten Erinnerungen, nichts. Avery lässt zu, dass sie sich vollständig hingibt, dass sie sich fallen lässt, verwundbar macht, einem Mann gegenüber, den sie kaum kennt. Und sie will das immer und immer wieder. Selbst, als sie herausfindet, wer Nick ist, ist sie nur kurz wütend, aber seine "dunkle Stimme" macht sie schnell wieder gefügig. Diese Frau ist vollständig von ihrem Verlangen dominiert und das nicht auf selbstbestimmte Art und Weise, sondern wie fremdgesteuert. Es ist zum Haare ausraufen! Klischees und Tropes in Erotik-Romanen hin oder her, das ist einfach alles zu viel!

Besonders stark wirkt dieser Punkt auf mich, da ich gerade "Ein unsittliches Angebot" (ebenfalls bei LYX erschienen) gelesen habe, wo die Frau zwar mit einem Mann schläft, sich aber bewusst ist, wie viel Macht er bekommt, wenn sie sich fallen lässt und offen genießt, weswegen sie sich lange dagegen sperrt - sie möchte keinem fremden Mann diese Art von Macht geben. Als sie sich am Ende doch darauf einlässt, ist es eine eigenständige, selbstbewusste Entscheidung! Das ist erotisch!

Dieses Buch hat mich einfach nur wütend gemacht. Weder erfahren wir je, was bspw Nick eigentlich an Avery so toll findet, noch kann ich mich auch nur im geringsten mit Avery identifizieren. Ich mag Dominanz-Spielchen auch - wenn sie auf Augenhöhe geschehen und beide Partner wissen, was sie da tun. Es gibt einen Extra-Stern, weil der Schreibstil bzw die Übersetzung gelungen ist und so zumindest das Lesen selbst angenehm war.

Kommentare

kommentierte am 29. Juni 2017 um 11:42

Besser hätte ich die Meinung zum Buch auch nicht zusammenfassen können, werde denn mal deine "Empfehlung" Ein unsittliches Angebot auf meine Wunschliste setzen.