Rezension

Im französischem Kriegsgebiet

Die Nachtigall
von Kristin Hannah

Bewertet mit 5 Sternen

Frankreich im 2. Weltkrieg. Das Land wird von der Vichy-Regierung rasch aufgegeben und von den Nationalsozialisten besetzt. Die meisten Männer sind gefangen, die Frauen kämpfen daheim ums Überleben. Wie auch zwei Schwestern, die sich beide gegen die Besatzer stellen, jede auf ihre Weise.

Der 2. Weltkrieg aus französischer Sicht ist einmal ein zeitlicher Rahmen, den man nur selten trifft. Genauso interessant ist auch die Perspektive der Frauen, die weitab der Front ihre eigene Version des Krieges kämpften. 

Im Mittelpunkt des Romans stehen die Schwestern Vianne und Isabelle und die Geschichte wird auch abwechselnd aus Viannes und Isabelles Sicht erzählt. Außerdem gibt es einen zarten Strang in der Gegenwart, der sich manchmal leise zu Wort meldet, und am Ende die Tragweite der Handlung begreifen hilft.

Die beiden Schwestern könnten unterschiedlicher nicht sein und sind sich in ihrem Wesen dennoch ähnlich. Vianne ist die Ältere, die nur an das Überleben ihrer Familie denkt. Sie will um jeden Preis ihre Tochter Sophie durch die Kriegszeiten bringen und hofft nach wie vor auf Besserung. Gleichauf steht die jüngere Schwester Isabelle. Eine Revolutionärin, die eine Vision vom Kampf für Frankreich in ihrem Herzen trägt, doch insgeheim durch ihre jugendliche Naivität ein spannendes Abenteuer im Widerstand gegen die Nazis sieht.

„Vianne befolgte die Regeln, Isabelle war die Rebellin.“ (S. 129)

Anhand dieser beiden Figuren steht man mittendrin im Kriegsgeschehen. Weitab der Front befindet man sich in Schlachten, die nur selten mit Waffen geschlagen werden, sondern mit Vorsicht, Mut und Würde oft böse für die Französinnen ausgegangen sind. Kristin Hannah zeigt, was Generationen lang jeder gewusst hat, aber kaum jemanden bewusst gewesen ist: auch die Frauen haben im 2. Weltkrieg gekämpft.

Sei es nun, dass sie sich selbst und ihre Familien im Beisein der Nazis durchgebracht haben, in einem unvorsichtigen Moment einem bedrohten Mitbürger - weil er zum Beispiel jüdisch war - die Hand reichten oder sich gar in der Résistance gegen die Besatzer stellten. Die Frauen sind im Krieg genauso ihren Mann gestanden.

„Männer erzählen Geschichten (…) Frauen machen mit dem Leben weiter.“ (S. 599)

Kristin Hannah lässt anhand von Vianne und Isabelle eine Generation von Frauen ihre Geschichte erzählen. Sie berichtet von der Angst, vor den fremden Männern im Haus, wie es ist, um das Leben der Kinder zu fürchten, von der Kälte, die im Winter über den Boden kriecht, von der Hoffnung, die sich hegt, von der Wut, wenn man sich von jüdischen Freunden trennt, und von der Trauer, wenn einem ein Kind in den Armen stirbt.

Dabei wird das Geschehen weder kitschig noch künstlich aufgebauscht, weil wohl in diesem Fall die Realität von keiner Geschichte übertroffen werden kann. Der einnehmende Schreibstil und der gelungene Aufbau runden diesen historischen Roman zu einem Meisterwerk ab, das hoffentlich noch von vielen Menschen gelesen werden will.

Kristin Hannah hat mir eine berührende Geschichte erzählt, die mich tief in der Seele getroffen hat. Ich habe nicht nur mit den Figuren in diesem Roman, sondern um eine ganze Generation geweint, die - egal auf welcher Seite - den 2. Weltkrieg durchlitten hat.

„Die Nachtigall“ hat mich mit einer interessanten Geschichte zweier Schwestern gefesselt, die dann einem realitätsnahen Drama weicht, und ein Bewusstsein für eine Generation von Frauen geschaffen, die im 2. Weltkrieg genauso ihren Mann gestanden ist. Absolut lesenswert!