Rezension

Im Westen was neues

Süß und ehrenvoll - Avi Primor

Süß und ehrenvoll
von Avi Primor

Bewertet mit 4 Sternen

Große Kriege gab es im Laufe der Menschheitsgeschichte viele. Doch einer, dessen Ausbruch sich in diesem Jahr zum hundertsten Mal jährt, drängt sich uns besonders ins Gedächtnis. Ist es doch der erste große, auf industriellem Niveau geführte Krieg.
Ein Weltkrieg auch genannt, denn es wird rund um den Globus an vielen Fronten gekämpft. Neu sind auch die Mittel der Menschenvernichtung: erstmals wird mit Flugzeugen gekämpft, erstmals setzt man chemische Erzeugnisse wie Senfgas als Waffe ein. Es ist auch das erste Mal, dass man sich regelrechte Materialschlachten liefert. Nur wenige Meter von einander entfernt liegen sich die Feinde gegenüber, eingegraben in die Erde, praktisch bewegungslos stehen sich die Fronten gegenüber.

Was diesen Krieg in unserem Gedächtnis so lebendig werden lässt ist aber noch viel mahr die Tatsache, dass die meisten von uns in ebenjenem Jahrhundert mit der 19 geboren worden sind. Der eine oder andere kennt oder kannte vielleicht sogar noch Zeitzeugen. Die Spanne der Jahre ist klein, die uns von diesem Ereignis trennt.

Neben den vielen Sachbüchern, die zum Thema erschienen sind, oder im Laufe des Jahres erscheinen gibt es auch belletristisch erzählte Geschichte. Einer der Romane ist dieser hier: Süß und ehrenvoll.

Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, hat selbst Wurzeln hier. Seine Mutter floh 1932 aus Frankfurt nach Tel Aviv, Primor wurde 1935 geboren.

In ‘Süß und ehrenvoll’ geht es also auch ein Stück weit um seine Geschichte, die Geschichte der Juden in Deutschland. Die Figur im Mittelpunkt ist Ludwig, der gerade sein Abitur gemacht hat und sich nun ins Jurastudium stürzen will. Doch kommt ihm der Krieg dazwischen. Wie die Meisten seiner Altersgenossen und die Meisten der Deutschen ist er begeistert vom bevorstehenden Abenteuer Krieg. Begeistert, dass er für Deutschland kämpfen darf.

Denn dieser große Krieg ist auch ein großer Gleichmacher. Jeder kennt den Ausspruch des Kaisers, dass alle Unterschiede wett gemacht sind. ‘…von diesem Tag an kenne ich nur noch Deutsche’. Das bezieht Ludwigs Vater und er selbst auch, vor allem auch auf die jüdischen Deutschen. Jeglicher Antisemitismus von oberster Stelle aus abgeschafft.

Ähnliches vollzieht sich in Frankreich. Keine zwanzig Jahre zuvor hat die Dreyfus-Affäre das Land erschüttert, die auch nicht zuletzt auf Antisemitismus gewachsen war. Jetzt sind auch hier alle Franzosen, die für ihr Vaterland kämpfen, die Freiheit verteidigen.
Auch für die französische Seite wählt Primor einen jüdischen Schulabschließer. Louis ist Bäckerssohn aus Bordeaux und der erste aus seiner Familie, der studieren wird. Doch vorerst: kämpfen für das Vaterland.

Die Namensvetter stehen also im Mittelpunkt von Primors Roman und an ihnen wird die Ähnlichkeit der Schicksale gezeigt. Beide lassen die Familie in der Heimat zurück, bei beiden ist der Vater die bestimmende Bezugsfigur in der Familie. Beide verstehen sich nicht zuerst als Juden, sondern zuallererst als Deutsche und Franzosen.
Beide begegnen Vorurteilen in der Armee und beiden wird der rasche Aufstieg für außergewöhliche Leistungen verstellt. Sie bewähren sich nämlich schnell, sind von den Kameraden anerkannt und haben beide Führungspotential. Doch die Konventionen, welche der Religion eine wichtige Rolle zuschreiben, stehen der Militärkarriere im Weg. So spielt ihre Religion hier auf einmal eine unverhältnismäßig große Rolle für beide.

Parallel wird auch die Situation an der ‘Heimatfront’ beschrieben. Je mehr das Judentum Ludwigs an der Front in den Hintergrund verschwindet, desto mehr wird in der Heimat der Antisemitismus wieder aktuell. Denn je schlechter es an der Front läuft und je mehr die Bevölkerung die Einschränkungen aufgrund des Krieges spürt, desto dringender wird die Suche nach einem Sündenbock, einem Schuldigen an der Misere. Und schnell verfällt man da in alte Muster.

Einen großen Teil des Buches machen die Briefe der Soldaten an die Familie und die Geliebten aus. Und deren Briefe an die Front. Hier wird Innerstes offenbahrt und da ist auch so manches Mal der Zensor, der jeden der Briefe kontrolliert egal, denn was gesagt werden muss, soll gesagt werden, jeder Brief könnte ja der letzte sein.

Der Erzählfluss stockte bei mir das ein oder andere Mal, wohl auch durch eben diese Briefe. Dennoch ist das Buch in seiner Gesamtheit ein überaus lesenswertes. Zwei jüdische Soldaten im Zentrum eines Textes über diesen großen Krieg, das gab es meines Wissens noch nicht. Und da aus diesem 1. der nochmals potentierte 2.Weltkrieg resultierte, kann man das Buch durchaus als ein wichtiges bezeichnen.