Rezension

In Teilen zu oberflächlich

Was nie geschehen ist - Nadja Spiegelman

Was nie geschehen ist
von Nadja Spiegelman

Bewertet mit 2.5 Sternen

Nadja Spiegelman hat das gemacht, was die Wenigsten sich trauen. Sie wollte verstehen und wissen und befragte ihre Mutter tiefgehend nach ihrer Geschichte. Sie schrieb sie auf und machte daraus dieses Buch. Ein Buch über Mütter und Töchter aus verschiedenen Generationen. Als Leser lernt man in erster Linie die Frauen der Familie kennen. In Frankreich fängt alles an geht über Amerika wieder nach Frankreich zurück. Mélanie - Mina - Josée - Françoises- Nadja, das sind fünf Frauen aus fünf Generationen, die unterschiedlicher nicht sein können und durch ihr Familienverhältnis jedoch so sehr verbunden sind, dass es enger nicht geht. "Was nie geschehen ist" ist ein Buch voller Verletzungen, Traurigkeit, Sehnsucht und der Suche nach Liebe. Insbesondere nach der Liebe von Töchtern zu Müttern, nach dem Wunsch, gesehen zu werden. 
 

"Ich sah über die Generationen hinweg ein Muster entstehen, es verbreitete sich wie die Kreise, die ein über das Wasser geworfener Stein auf der Wasseroberfläche hinterlässt: all die Enkelinnen und ihre Großmütter, die sich liebten, all die Mütter, die dabei auf der Strecke bleiben." (eBook bei 83%)

Im ersten Teil liegt der Fokus auf Françoise, die ihrer Tochter Nadja von ihrer Kindheit in Frankreich erzählt und wie sie diese und ihre Jugend empfunden und wahrgenommen hat. Viele dieser Erlebnisse machten mich sprachlos. Sehr oft dachte ich, dass so ein Kind nicht aufwachsen sollen müsste. Mit der nicht ausreichenden Beachtung, Liebe sowie Oberflächlichkeit strafte Josée ihre Tochter Françoise mehr, als dass sie fähig war das zu begreifen. Und die Auswirkungen dessen sind bei Françoise bis ins Alter festzustellen.

Der zweite Teil konzentriert sich auf Josée und ihre Vergangenheit, die von Krieg und Flucht geprägt ist, wie auch die Verletzungen, die sich ergeben haben, dass sie ein uneheliches Kind war, ein Bastard. Es verfolgte sie bis ins Erwachsenenalter, da aufgrund dieser Tatsache, die ein Privatdetektiv ans Licht brachte, erstmal ihre Verlobung mit Paul gelöst wurde. All das erfährt man als Leser über die Enkelin Nadja, die sich eine Auszeit in Amerika genommen und diese in Paris mit ihrer Großmutter Josée verbracht hatte. Durch die vielen und intensiven Gespräche mit Josée schloss sich der Kreis der Erinnerungen von Françoise.

Interessanterweise stimmten nicht alle Erinnerungen von Josée und Françoise überein. Beide Frauen erinnern sich an gemeinsam erlebte Situation oftmals sehr unterschiedlich, oftmals sogar ganz gegensätzlich. Faszinierend, was aus Erinnerungen wird, wenn einiges an Zeit vergeht und wie Emotionen und Einstellungen die Vergangenheit vollkommen für einen selbst verändern können. 

Was mich im Lesefluss sehr oft gestört hat, ist, dass man manchmal nicht sofort wusste, von wem nun erzählt wurde. Manchmal ging es übergangslos von Françoise zu Nadja über und wieder zurück. Und plötzlich ging es dann wiederum um die Großmutter. Hier hätte ich mir mindestens optisch eine viel eindeutigere Struktur gewünscht.

Leider ging es mir aber auch im Laufe des Buches so, dass ich mich zunehmend langweilte. Meine anfängliche Begeisterung flachte im letzten Drittel extrem ab. Gerade im zweiten Teil, in dem sich zwar Enkelin Nadja und Großmutter Josée näher kamen, entfernte ich mich von der Geschichte. Geplänkel über Essen, Sexualität, Vorbereitungen zu Josées Beerdigung und all die vielen gestellten Fragen, die nicht beantwortet werden wollten, konnten mich nicht mehr richtig fesseln.

Über die Zeit des Zweiten Weltkrieges erfährt man leider nur sehr, sehr wenig. Oberflächlich wird erwähnt, dass er schlimm war. Es gab Bombadierungen, man musste sich verstecken und viele Entbehrungen hinnehmen. Josée wurde 1930 geboren und war ein Teenager von 14 Jahren, als der Krieg endete. Ich hätte mir jedoch gewünscht, detailliertere Erinnerungen aus dieser Zeit zu erhalten. Insbesondere, da Nadja Spiegelmans Vater Art Spiegelman der Autor des berühmten und preisgekrönten Comics "Maus" ist und darin die Kriegserlebnisse seines jüdischen Vaters verarbeitet hat. 

Fazit:
Als Leser konnte ich nachfühlen, wie bedeutend diese Gespräche und dieses Buch für die Autorin sind. Es ist ihre Geschichte, die Geschichte der Frauen ihrer Familie. Das Buch verhalf ihr dazu, vieles zu verstehen und einige Lücken zu schließen. Durch das Buch scheinen manche Gräben überwunden worden zu sein. Leider konnte mich das jedoch nicht so begeistern und mich darüber hinaus auch nicht vollkommen erreichen. Sehr schade! Ich hatte es mir so sehr gewünscht. Aber ich bewundere diesen Mut, die eigene Familiengeschichte öffentlich so preiszugeben. Auch wenn Nadja Spiegelmans Familie bereits in der Öffentlichkeit bekannt ist, geht dieses Buch doch noch viel, viel tiefer und zeigt auch die dunklen und nicht so schönen Seiten, die viele lieber für sich behalten würden.