Rezension

Insel first - Eine sterbende Region, die auf ihren Traditionen beharrt

Die Insel der Freundschaft - Durian Sukegawa

Die Insel der Freundschaft
von Durian Sukegawa

Bewertet mit 4 Sternen

Auf der winzigen Pazifikinsel Aburi kommen mit der Fähre von einer der japanischen Hauptinseln drei junge Leute an, die bei Bauarbeiten für die Wasserversorgung helfen sollen. Ryosuke hat außer dem Hilfsarbeiterjob ein weiteres Ziel: sein Vater hat früher einmal auf der Insel gelebt und der junge Japaner will einem der Bewohner etwas überbringen. Bereits auf der Fähre erhalten die drei Arbeiter (zwei Männer und eine Frau) beim ersten Kontakt mit dem Bauleiter einen sonderbaren Eindruck von der Insel. Schritt für Schritt entsteht beim Lesen eine düstere, unheimliche Atmosphäre. Die Insel hat nur rund 300 Einwohner und leidet unter der Abwanderung junger Leute. Die Fähre verkehrt nur einmal in der Woche und liefert dann alle Bestellungen der Inselbewohner vom Festland. Was die Männer von der Insel die restliche Woche tun, wenn keine Ladung verteilt werden muss, bleibt unklar. Die drei Arbeiter sind offenbar mit dem Hintergedanken ausgewählt worden, dass sie sich auf der Insel niederlassen, frischen Wind in eine alternde Bevölkerung bringen und die Insel in ihrer Generation bekannt machen werden. Die Botschaften an die jungen Leute wirken widersprüchlich und willkürlich. Es scheint diverse Regeln zu geben, die erst benannt werden, nachdem die ahnungslosen Zuwanderer dagegen verstoßen und damit ihre Verbannung von der Insel bewirkt haben. Mir ist unklar geblieben, wer außer dem Bauleiter und evtl. der Lehrerin überhaupt Zuwanderung wünscht. Der Starrsinn der Inselbewohner und die feindselige Stimmung gegenüber den Neuen stehen der der verbal gewünschten Auffrischung jedenfalls deutlich im Weg. Der einzige Zuwanderer, der es bisher auf der Insel ausgehalten hat, ist Hashida, der ehemalige Geschäftspartner von Ryosukes verstorbenem Vater.

Als die Rohrgräben fertig ausgeschachtet sind, bleibt Ryosuke auf der Insel zurück und versucht eine Ziegenkäse-Herstellung aufzubauen, ohne groß Ahnung von Milchziegenhaltung zu haben. Dabei erfindet er umständlich das Rad neu, weil ihm das Wissen über Ziegenhaltung fehlt, z. B. das Wissen französischer Ziegenhalter. Vor 20 Jahren ist sein Vater mit dem Projekt bereits gescheitert. Auch wenn Ryosuke annimmt, dass die Welt sich seitdem verändert hat, ist es extrem unwahrscheinlich, dass diese traditionsbewussten Einwohner auf dieser abgelegenen Insel sich ausgerechnet für Ziegenkäse begeistern lassen.

Anfangs wirkten die Figuren auf mich eher maskenhaft. Zwar habe ich erfahren, dass die drei Hilfsarbeiter unter 30 und abenteuerlustig sind und der Bauleiter irgendwie sonderbar wirkt, außer Ryokes rätselhafter Verbindung zur Insel war das auch schon alles. Als Ryosuke sich, unterstützt von Hashidas Ratschlägen mit der Ziegenkäseherstellung befasst, nahm der 2004 im Original erschienene Roman eine in der aktuellen politischen Situation höchst interessante Wendung. Beschrieben wird eine kleine Gemeinschaft, die allein ohne Zuwanderung nicht mehr lange überlebensfähig sein wird und sich dennoch starrsinnig gegen Einflüsse von außen sperrt. Starre Einstellungen und Abschottung gegenüber Ideen von außen führen zum wirtschaftlichen Niedergang, der wiederum Abwanderung bewirkt – und Frauenmangel, da Frauen aus sterbenden Regionen schneller abwandern als Männer. Als Text u. a. über Abschottung und Starrsinn zeigt sich „Die Insel der Freundschaft“ nach dem Brexit und der Trump-Wahl als erstaunlich prophetisch.