Rezension

Intensiv und ehrlich

Was nie geschehen ist - Nadja Spiegelman

Was nie geschehen ist
von Nadja Spiegelman

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Uns würde nichts zustoßen – diese Gewissheit unserer Mutter begleitete uns auf Schritt und Tritt“ (S. 11)

Nadja Spiegelman ist die Tochter eines Pulitzerpreisträgers und der Art-Director des New Yorkers. In ihrem unglaublich ehrlichen biografischen Roman fährt sie die Lebenslinien ihrer erfolgreichen Mutter und ihrer Großmutter nach. Die drei Frauen haben keine einfache Mutter-Tochter-Beziehung, Spiegelmans Erzählung ging mir oft unter die Haut. Ich konnte mich bis zum Schluss nicht darauf festlegen, ob ich die Beziehungen in dieser Familie eiskalt oder sehr liebevoll finden soll. Wahrscheinlich, weil die Wahrheit zwischen dem einen und anderen Extrem schwankt. Allen Frauen ist eine sehr bissige Seite zu eigen, grausame Wahrheiten werden laut ausgesprochen, manchmal wird erst recht auf einer persönlichen Schwäche herumgehackt. Es lastet großer Druck auf der Erzählerin, den sie ungefiltert an den Leser weitergibt. Aber auch die eigene Mutter hat keine einfache Kindheit gehabt und so ziehen sich die Schwierigkeiten wie ein roter Faden durch die Generationen. Andererseits steht jede Frau für ihre Kinder und Kindeskinder ein, kämpft für sie, beschützt sie; zeigt ihnen die Schönheiten dieser Welt.

In vielen sehr persönlichen und sehr offenen Gesprächen erfährt man nach und nach die Lebensgeschichte dreier sehr faszinierender Frauen, die einerseits sehr stark sind und andererseits doch ein Opfer ihrer Umgebung. Viele Situationen werden von den unterschiedlichen Personen verschieden beurteilt, sodass man auch darüber grübeln kann, welche Version der Wirklichkeit wohl am ehesten entspricht. Erinnerungen sind eben formbar. Die Autorin erzählt unglaublich intensiv, voller Emotion und dabei unglaublich fesselnd. Eine mitreißende, aber auch nachdenkliche Erzählung, quer durch die Generationen und über zwei Kontinente hinweg. Ich bin begeistert.