Rezension

Interessante Geschichtsstunde

Demnächst in Tokio - Katharina Seewald

Demnächst in Tokio
von Katharina Seewald

Bewertet mit 4 Sternen

Elisabeth ist erst 19, als ihr Vater sie ganz plötzlich mit dem Sohn seines Chefs verheiratet. Ernst Wilhelm ist zwar erheblich älter, die beiden kennen sich nicht, doch als Lohn wird der Vater Geschäftsführer in der Tuchfabrik der von Traunsteins.
Der frisch gebackene Ehemann reist schnellstens nach der Hochzeit nach Tokio ab, dort hat er einen Posten in der deutschen Botschaft. Elisabeth ermöglicht die Heirat den Schritt in eine neue Welt voller Reichtum und Selbstbewusstsein. Sie folgt Ernst Wilhelm nach Japan, doch dort leben sie wie Geschwister zusammen. Eine Ahnung von einem Eheleben bekommt die junge, naive Frau erst, als Ernst Wilhelms Freund Alexander auftaucht und sich um sie bemüht.
Elisabeth erzählt ihre Lebensgeschichte im Rückblick ihrer Tochter Karoline und schlägt dabei natürlich einen sehr persönlichen Ton an. Als Leser ahnt man bald, dass Ernst Wilhelm wegen seiner Homosexualität aus Hitlerdeutschland fort musste. Nach dem "Röhm-Putsch" wurden ja viele Homosexuelle gefangen genommen und ermordet. Doch die völlig unaufgeklärte Elisabeth ahnt nichts davon, erst durch einen Brief, den sie in Ernst Wilhelms Nachlass findet, kann sie das ganze Ausmaß der Tragödie ermessen.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Nicht nur bekam man Einblick in eine völlig fremde Welt, die ja Japan für die Europäer in dieser Zeit darstellte. Auch das persönliche Schicksal der Hauptpersonen geht dem Leser nahe.
Der Text ist gut lesbar geschrieben und man findet schnell in die Geschichte hinein.
Leider werden die Ereignisse nach der Flucht aus Tokio nur bruchstückhaft geschildert, da hätte ich gern mehr erfahren, aber das hätte vielleicht den Umfang des Buches gesprengt.
Die Figur des Alexander beruht übrigens auf einem realen Vorbild des Spions Richard Sorge, von dem ich noch nie gehört hatte.