Rezension

Interessante Liebesgeschichte in der zweiten Lebenshälfte

Unsere Seelen bei Nacht - Kent Haruf

Unsere Seelen bei Nacht
von Kent Haruf

Bewertet mit 4 Sternen

Übernachten will ich bei dir!

„Ich will nur friedlich vor mich hin leben und darauf achten, was Tag für Tag passiert. Und abends herkommen und bei dir schlafen.“

Inhalt

Addie und Louis leben Haus an Haus in einer Kleinstadt in Colorado. Beide sind über 70 und allein, weil die jeweiligen Ehepartner verstorben sind und die Kinder längst aus dem Haus. Addie mag ihren Nachbarn und fragt ihn, ob er bereit wäre sie abends und nachts zu besuchen um gemeinsam mit ihr in einem Bett zu schlafen – natürlich ohne sexuelle Hintergedanken sondern allein deswegen, weil sich so die Einsamkeit der Nacht besser überstehen lässt. Louis findet die Idee nicht schlecht und möchte es zumindest probieren. Schon bald merken die beiden, dass es sich zu zweit auch im Alter viel entspannter lebt und weiten ihre Treffen auch auf den Tag aus. Doch in Holt, rümpft man die Nase und stößt sich am unkonventionellen Verhalten von Addie und Louis. Überall stoßen sie auf Ablehnung und Unverständnis. Als Addies Sohn von seiner Mutter fordert, dass sie den Nachbarn nicht mehr trifft, weil sie sonst ihren geliebten Enkel verliert, muss sie sich entscheiden …

Meinung

Auf 197 Seiten entwirft der mittlerweile verstorbene amerikanische Autor Kent Haruf eine schöne, leichte und stille Geschichte über die Wünsche und Hoffnungen im Alter, auch diejenigen, die eine Liebe, eine tiefe innere Verbundenheit ausdrücken und die Menschen daran erinnern, dass es für Gefühle und Warmherzigkeit niemals zu spät ist. Die beiden Protagonisten wirken sehr lebensecht, tief verwurzelt in ihren Ansichten und wunderbar ausgeglichen. Beide haben etwas für sich entdeckt, was ihnen wieder mehr Lebensfreude und Energie schenkt und sie sehen es nicht ein, sich in ihrem Alter noch Gedanken darüber zu machen, was andere von ihnen denken. Mit dieser Ausgangssituation fängt der Autor den Leser und bietet im Folgenden eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, mit guten und schlechten Entscheidungen und zeichnet dabei ein sehr interessantes Bild über die Möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn man dem Glück nur ein wenig die Tür öffnet.

Der Schreibstil von Haruf ist sehr einfach, konzentriert sich auf das Wesentliche und vermittelt dadurch für mich zu wenig echte Emotionen. Was mir z.B. gänzlich gefehlt hat war die Selbstreflexion von Addie aber auch von Louis – als Leser kennt man sie mehr aus zweiter Hand, was zwar objektiv richtig ist, mich aber nicht wirklich teilhaben lässt am inneren Prozess der Gefühlsfindung. Dadurch plätschert das Geschehen etwas dahin und die Aussagekraft des Buches bleibt minimal, denn beide gehen einen gemeinsamen Weg, lassen sich aber wieder voneinander abbringen – wohlgemerkt ohne damit glücklich zu sein. Tatsächlich finde ich den Plot der Geschichte besser geeignet für einen Film, als für ein Buch, schon allein weil es dann den Schauspielern obliegt Gefühle zu transferieren.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen naturverbundenen, einfachen und stillen Roman, der wenig braucht um etwas zu vermitteln und der vielleicht auch an die jüngere Generation appelliert, wie sie mit ihren Eltern und Großeltern in der späten zweiten Lebenshälfte umgehen möchte. Ganz klar und deutlich erscheint mir die Aussage, dass jedes Individuum einen anderen Traum von Glück und Zufriedenheit hat und dass es normalerweise niemanden geben dürfte, der Gefühle nur auf Grund gesellschaftlicher Konventionen abwertet oder sogar verbietet. Lesenswert!