Rezension

Interessanter Einblick in die Euthanasie

Geerbtes Schweigen - Bernhard Gitschtaler

Geerbtes Schweigen
von Bernhard Gitschtaler

Das Cover:

Hier sieht man die Kongresshalle vor dem Nürnberger Parteitag der NSDAP im Jahre 1938. Hier haben 50.000 Menschen Platz gefunden. Dieses Bild auf das Cover zu setzen finde ich sehr gelungen, da man hier vor Augen geführt bekommt, dass solche Hallen gefüllt werden konnten, wenn (Hetz-)Reden gehalten wurden. Und auch das finde ich sehr erschreckend, denn wo es kein Publikum gibt, kann meiner Meinung nach nicht so etwas Grausames entstehen wie es bei Hitler der Fall war.

Das Buch/Meine Meinung:

In diesem Buch geht es nicht direkt um die Personen, die diese Zeit noch miterlebt haben. Es geht um die Nachfahren. Und darüber, dass lange nach Kriegsende das Thema weiterhin verschwiegen wurde und welche Auswirkungen das „Nicht-Reden“ für die Familie und die Nachfahren hat. Und hier wird ein Teil des Krieges besprochen, den viele vielleicht nicht im Blick haben. Man hat schon von Konzentrationslagern und Krematorien gehört, aber wer hat sich schon mal näher mit den Opfern der „Euthanasie“ beschäftigt? Vielleicht weiß man sogar nichts mit diesem Begriff anzufangen? Es ist allgemein bekannt, dass Hitler „seine Rasse“ zur Weltmacht verhelfen wollte. Seine „Feinde“ waren in diesem Fall nicht „nur“ Menschen, die nicht reinrassig deutsch waren, sondern eben auch Menschen, die Gendefekte besaßen, die nicht weitergegeben werden durften. Menschen, die körperlich oder mental Eigenschaften besaßen, die nicht vererbt werden sollten. Menschen, die ausgelöscht werden mussten. Und das führte manchmal dazu, dass Ärzte, Krankenschwestern oder auch Familienmitglieder es ausnutzten, um lästige Menschen loszuwerden, auch wenn sie nicht krank waren. Und darüber wird in Familien immer noch geschwiegen. Vielleicht, weil man die eigene Schuld nie zugeben wollte oder weil man Angst vor der Meinung anderer Leute hatte.

Die Idee dieses Buches ist, mit den Familien, mit verschiedenen Generationen einer Familie zu sprechen und herauszufinden, ob sie ihr Schweigen brechen wollen. Dies verlangte dem Autor viele Gespräche und viel Geduld ab. Denn ich kann mir vorstellen, dass jahrelanges Schweigen nicht von heute auf morgen gebrochen werden kann. Teilweise leben die Menschen schon ihr Leben lang mit diesen Gedanken und tragen es mit sich herum. Sie leiden. Und nun gab man ihnen die Möglichkeit zu Wort zu kommen. Teilweise schien es noch schwieriger gewesen zu sein, weil manche Familienmitglieder selbst in der eigenen Familie nicht darüber sprachen. Erinnerungen werden manchmal nicht gerne geweckt.

Mir gefiel die Idee des Buches sehr gut. Es war interessant Geschichten zu erfahren über die so lange geschwiegen wurde und zu sehen, wie die Familie darauf reagiert. Teilweise mussten sie Dinge erfahren, die ihre eigene Welt auf den Kopf stellen. Manche Menschen sprechen relativ offen, was meist auf die heutigen Generationen einer Familie zutrifft und andere behalten immer noch Dinge für sich, was meist auf die älteren Generationen zutrifft. Ich kann es kaum als Kritikpunkt auffassen, weil es hier um Interviews geht und man niemanden zwingen kann mehr von sich oder seiner Geschichte preiszugeben als er möchte, aber ich hätte in dem ein oder anderen Fall gerne mehr über das Schicksal der Menschen erfahren, die damals zu einem Opfer der „Euthanasie“ geworden sind.

Vom Aufbau her muss ich leider sagen, dass ich das Vorwort und die Kapitel über die Geschichte der Euthanasie (deren Folgen etc.) übertrieben lange fand. Es waren insgesamt 114 Seiten bis die Interviews begannen und ich gebe zu, dass ich mich darauf am meisten „gefreut“ (kann man bei diesem Thema wirklich das Wort gefreut verwenden?!) habe, weil ich persönliche Geschichten hören wollte. Und dann war ich etwas enttäuscht, weil manche Geschichten einfach nicht sehr ins Detail gingen oder nicht alles erzählt wurde. Aber wie gesagt, man kann Menschen nicht zwingen mehr von ihren Erinnerungen preiszugeben als sie möchten. Und das muss man akzeptieren und ist keinesfalls ein Grund dieses Buch nicht zu lesen.

Interessant für mich persönlich war auch, dass ich durch das Vorwort und die nachstehenden Kapitel bis zu den Interviews einiges über die Geschichte von Österreich erfahren habe. Da ich in Deutschland lebe habe ich mich bisher mehr für die Geschichte von Deutschland interessiert, als die von unseren Nachbarn. Ich finde, die Nachbarländer werden oft „vergessen“, wenn es um die Geschichte der Hitler-Zeit geht.

Mein Fazit:

Ein äußerst interessantes Buch mit persönlichen Einblicken in die Vergangenheit. Wie schwer es ist sein Schweigen zu brechen und wie erleichternd es sein kann, wenn man es tut.