Rezension

Interessantes aus der Belle Epoque, ansonsten leider nur mittelmäßig

Sei mir ein Vater
von Anne Gesthuysen

Bewertet mit 3 Sternen

Als die etwa 40jährige Lilie Agutte in ihrer Pariser Wohnung Einbrecher überrascht, die dort ein Gemälde von Georges Agutte stehlen wollen, ist sie völlig überrascht. Sollte dieses Bild etwa wertvoll sein? Sie weiß lediglich, dass ihr Vater Yves, der ihr nie ein richtiger Vater gewesen ist, dieses Bild vor langer Zeit auf einem Flohmarkt erstanden hat. Mitten in diese Verwirrung bekommt Lilie den Anruf ihrer deutschen Freundin Hanna, deren Vater Hermann sterbenskrank ist. Sie soll kommen. Kurzerhand nimmt Lilie das begehrte Bild mit nach Deutschland und es beginnt für die drei (Lilie, Hanna und Hermann) eine Spurensuche, die für Ablenkung sorgt.

Diese Spuren führen zurück in die Belle Epoque zum einflussreichen, aber sehr in Vergessenheit geratenen Künstler-/Politiker-Ehepaar Georgette Agutte & Marcel Sembat. Die Rückblicke schildern das Leben von Georgette mit ihren Anfängen in der Malerei (einzige Frau an der Académie des Beaux-Arts) und ihren freundschaftlichen Beziehungen zu einigen der großen Künstler der damaligen Zeit, wie z.Bsp. Henri Matisse, Paul Signac, Amedeo Modigliani. Gleichzeitig erfährt man Interessantes von ihrem 2. Ehemann Marcel Sembat, der sich als Sozialist und Kunstkenner sowie Kunstförderer verdient gemacht hat.

Dieses Buch der Autorin des Bestsellers „Wir sind doch Schwestern“ hat mich sehr zwiespältig zurückgelassen. Ihre Sprache ist flüssig und bildhaft, sehr gut lesbar. Die Charaktere der Rahmenhandlung (Lilie, Hanna, Hermann…) sowie die gesamte Handlung an sich habe ich als extrem blass, ohne Tiefe, an einigen Stellen unlogisch, dahinplätschernd ohne Höhen, sprich: langweilig empfunden. Leider! Vielleicht liegt es daran, dass diese drei Reisenden ganz unterschiedliche Ziele verfolgt haben:

(S.220/221) "Sie reisten gemeinsam, doch jeder hatte ein anderes Ziel. Hanna wollte ein Rätsel lösen, am liebsten ein wertvolles Gemälde herbeizaubern und ihrem Vater eine gute Zeit bescheren, Hermann wollte sich vom Sterben ablenken, und sie, Lilie, wollte mittlerweile vor allem mehr über ihre Urahnen erfahren."

Es wirkt durchweg hölzern und nicht echt. Jeder ist offenbar mit sich beschäftigt, aber hier hätte meiner Meinung nach die Autorin viel Stoff zum Ausfüllen gehabt. Dann wäre der Roman sicher um einige Seiten länger geworden – aber auch „echter“.

Die Rückblicke in die Belle Epoque zum Ehepaar Agutte/Sembat sind allerdings sehr interessant und haben mich am Ende sogar fesseln können. Es hat mir zwar auch hier eine gewisse Tiefe in Bezug auf die Personen gefehlt (ich habe nur äußerst selten wirklich „mitfühlen“ können), aber allein die Schilderung der damaligen Verhältnisse sowie die Einblicke in das Künstlerleben von Georgette Agutte oder bspw. Matisse haben mir gefallen. Dieser Teil des Buches hat mich dann doch ein wenig versöhnt.

Fazit: Ein Buch, das mich über weite Strecken gelangweilt hat ob der blassen und flachen Rahmenhandlung und Charaktere. Aber auch ein Buch, das mir einen sehr interessanten Einblick in das Leben eines faszinierendes Ehepaares der Belle Epoque gegeben hat. Deshalb kann ich es nur sehr bedingt weiterempfehlen.

Kommentare

katzenminze kommentierte am 03. Januar 2016 um 18:09

Ach schade, die Kunstszene und die Rückblicke in die Belle Epoque hätten mich auch interessiert aber wenn der Rest nix ist, lasse ich lieber die Finger davon. Aber ich hoffe, du hattest eine schöne Leserunde. :)

Naibenak kommentierte am 03. Januar 2016 um 19:56

Minzi :) Ja, danke...die LR war gut! Vor allem waren wir im großen und ganzen einer Meinung. Ja, echt schade, dass die Rahmenhandlung so blöd ist. Der Rest ist nämlich lesenswert!