Rezension

Irgendwer muss es richten

Das Adenauer-Komplott - Sebastian Thiel

Das Adenauer-Komplott
von Sebastian Thiel

Bewertet mit 4 Sternen

»Das ist alles?«, wollte Maximilian wissen. »Das ist alles.« »Also nur ein Bündel Geld in ein Gestapo-Arbeitslager schmuggeln, einen Kapo und Ärzte bestechen, mit einer mir unbekannten Person einen Krankentransport stehlen und unbehelligt von allen Beamten, Polizisten, den Soldaten von der Schutzstaffel und der Sturmabteilung das hervorragend bewachte Messelager wieder verlassen, und das Ganze auch noch lebend und innerhalb von wenigen Wochen.«

Köln, im August 1944. Maximilian Engel, ein hochdekorierter Jagdflieger, ist desillusioniert. Die Stadt liegt in Trümmern, der Krieg scheint verloren. Aber was für ihn noch schlimmer wiegt ist die Tatsache, dass er wegen einer Verwundung nicht mehr fliegen kann. Denn das Fliegen war sein Lebenstraum, die „pure Freiheit“.
An einem Abend mit besonders hohem Alkoholspiegel redet er sich um Kopf und Kragen – und wird folglich prompt von der Gestapo verhaftet. Im Gefängnis stellt ihn eine unbekannte Schöne vor eine Entscheidung: Entweder ein ausgesprochen unschönes Ende oder die Annahme eines hochriskanten Auftrags. Dabei soll er – wie eingangs zitiert – einem ebenfalls verhafteten Mann zur Flucht verhelfen. Und dieser Mann ist niemand anders als der ehemalige Bürgermeister von Köln, Konrad Adenauer…

 

Mit diesem Buch hat Sebastian Thiel erneut einen Treffer gelandet. Ich versprach mir Spannung und viel Zeitgeschichtliches – beides habe ich bekommen.

Geschickt mixt der Autor Fiktion mit historischen Personen und Begebenheiten. Dies in Kombination mit Detailreichtum und einer offenbar gut erfolgten Recherche sorgte dafür, dass ich die gesamte Handlung als sehr real empfand.

Der zeitgeschichtliche Hintergrund wird sehr gut herausgearbeitet, wobei sich die Handlung über 20 Jahre erstreckt und somit auch die Nachkriegszeit und den Wiederaufbau umfasst. Eine schwere Zeit! Das Land liegt nach dem Krieg am Boden und zwischen Not und Besatzungsmächten stellt sich die Frage, wie man aus den Trümmern wieder herausfindet, zurückfindet zur Normalität.

Bekanntlich spielte Adenauer eine nicht unerhebliche Rolle dabei, das Buch befasst sich intensiv mit seiner Person. Die Darstellung zeigt einen hochinteressanten Charakter, der immer wieder mit seinem berühmten Pragmatismus glänzt. Verklärt wird er aber nicht dargestellt, sondern recht sachlich mit guten und schlechten Seiten. Das hat mir gefallen.

Ähnlich erging es mir mit dem Protagonisten Maximilian, der zu Beginn ein menschliches Wrack ist, um dann im Laufe der Zeit eine beträchtliche Entwicklung zu durchlaufen. Glaubhaft erkennt man einen anfangs gescheiterten Menschen auf der Suche nach einer neuen und besseren Zukunft.

Der Weg dahin ist allerdings nicht leicht und führt durch eine Vielzahl von Intrigen, Verbrechen und Geheimnissen. Ich fand das sehr spannend und die erzeugte Atmosphäre einfach klasse. Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, dass irgendwer im Hintergrund irgendwelche Fäden zieht. Aber wer? Und wozu? Und was wird daraus entstehen?

 

Ein bisschen was zu meckern habe ich aber trotzdem. So steht zum Beispiel „Kriminalroman“ auf dem Buch, drin ist aber eigentlich ein Politthriller. Das hat mich nicht gestört, weil ich Letztere ebenfalls mag, ich ärgere mich aber schlicht über falsche Betitelungen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein Leser, zu dessen Krimigenuss zwingend eine Leiche plus Ermittler gehören, hier enttäuscht sein könnte.
Darüber hinaus hatte ich manchmal das Gefühl, durch die Handlung zu fliegen. Es fehlt zwar nichts, aber manchen Passagen oder Ereignissen hätte ich mehr Raum gewünscht und auch ein paar Nebencharaktere hätten eine intensivere Befassung mit ihrer Person verdient. Der Umfang von 311 Seiten täuscht etwas, da das Schriftbild sehr groß ist. (Dafür aber sehr angenehm zu lesen ist.)

 

Fazit: Mehr Politthriller als Krimi und mit einer reichlichen Portion deutscher Geschichte. Lesenswert!

 

»Ham Se da keinen anderen für?«, wollte Adenauer wissen und schüttelte den Kopf, als ob ihn allein der Gedanke anwiderte. … »Aber Se ham schon recht. Irgendwer muss es richten. Wir brauchen Parteien, Meinungsbilder, jemanden, der mit Wirtschaft und Alliierten verhandelt, damit wir wieder auf die Beine kommen und die Menschen etwas zwischen die Zähne kriegen.«