Rezension

Islands jüngere Vergangenheit

Der Reisende - Arnaldur Indriðason

Der Reisende
von Arnaldur Indriðason

Bewertet mit 4 Sternen

Wer Indridason und seine Erlendur-Krimis kennt, weiß, dass bei ihm nicht reißerische Action und Gewalt im Vordergrund stehen, sondern eher eine melancholische Grundstimmung vorherrscht. Allerdings versetzt uns der Autor dieses Mal in die Vergangenheit Islands. ,,Der Reisende“ spielt zur Zeit des 2. Weltkrieges, als Island von britischen und amerikanischen Truppen besetzt war. Die bis dahin eher ländlich geprägte Bevölkerung kommt nun plötzlich mit dem Weltgeschehen in Berührung, was starke Auswirkungen zeigt. So verändert sich vor allem das Leben vieler Frauen, die durch die Soldaten neue Freiheiten, aber auch neue Abhängigkeiten erlangen. Das Zeitgeschehen wird gut vermittelt, allerdings dürfte das Hintergrundwissen vieler Leser nicht so groß sein, sodass eine weitere Information, z.B. in einem Nachwort, wünschenswert wäre.

Ein Handelsreisender wird tot in Reykjavik aufgefunden. Er wurde brutal erschossen, allerdings findet man seine Leiche in der Wohnung eines früheren Schulkameraden, Felix Lunden, der auch als reisender Händler sein Geld verdient. Ist Konkurrenz das Motiv? Bald drängt sich auch der Verdacht auf, dass es um Spionage gehen könnte. Als Ermittler wird der junge, unerfahrene  Flóvent von der Reykjaviker Polizei eingesetzt. Ihm zur Seite gestellt wird der kanadische Soldat Thorson, da das US-Militär wenig Vertrauen in die lokale Polizei setzt und Thorson isländische Wurzeln hat. Thorson und Flóvent arbeiten gut zusammen und kommen auch trotz der unterschiedlichen Lebenssituationen menschlich gut miteinander klar. Dennoch bleiben beide noch etwas blass. Bei Thorson wird ein dunkles Geheimnis angedeutet, das Privatleben der beiden Männer wird aber nur sparsam beleuchtet. Für meinen Geschmack dürften beide noch deutlich mehr Charakter und Eigenleben entwickeln. Die Handlung wird leider recht häufig durch lange Dialoge wiedergegeben, teilweise auch noch in der indirekten Rede. Dies trägt nicht unbedingt zum Spannungsaufbau bei. Dennoch fand ich Indridasons Krimi interessant und lesenswert.