Rezension

Jahreshighlight

Trümmerkind
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 5 Sternen

Der 14-jährige Hanno, seine kleine Schwester Wiebke und die Mutter Agnes kämpfen im Nachkriegswinter 1947 in Hamburg gegen Hunger und Kälte. Die Mutter verdient ein wenig Geld durch Steine klopfen und Näharbeiten. Ihr Sohn sammelt Altmetall und macht alles was er finden kann zu Geld oder tauscht es auf dem Schwarzmarkt gegen Lebensmittel und Zigaretten. Die Zeiten sind hart, der Vater ist seit Jahren im Krieg an der russischen Front vermisst. Eines Tages findet Hanno in einer Kellerruine eine nackte Tote und zwischen den Trümmern liest Wiebke einen kleinen verängstigten Jungen auf, der kein Wort mehr spricht. Es wird aber Jahrzehnte dauern, bis ans Licht kommt, was in diesem harten Winter wirklich mit ihm und seiner ganzen Familie geschehen ist.

In drei zeitlich versetzten Handlungssträngen rollt die Autorin dramatische Geschehnisse auf, die in der Uckermark ihren Anfang nahmen und über Köln schließlich in Hamburg enden werden. Der Leser erlebt die Wochen nach dem Ende zweiten Weltkrieges, bangt mit einer Familie um Leib und Leben und Hab und Gut, als die russische Armee vorrückt und schließlich alle zur Flucht zwingt. Erzählt wird aber auch von den Nachkriegsjahren in Deutschland. Von Menschen, die scheinbar alles verloren haben, die an den erlittenen Kriegsgräuel leiden und doch nie den Lebensmut verlieren und sich zurück ins Leben kämpfen können. Es geht um ein großes Unrecht, welches die Lebenläufe vieler für immer verändern und beeinflussen wird. Und nicht zuletzt um die Suche nach der einzigen Wahrheit die in den Geheimnissen der Vergangenheit verborgen liegt. Und die Hoffnung, dass die richtigen Antworten die dunklen Dämonen der Seele vertreiben können.

Wieder mal hat mich ein Buch von Mechthild Borrmann von der ersten Seite an gefesselt. Die Beschreibungen der damaligen Verhältnisse aber auch der menschlichen Charaktere und Beziehungen sind so eindringlich wie realistisch und das Kopfkino läuft sofort auf Hochtouren. Ich bin jedes Mal wieder fasziniert, dass die Autorin im Gegensatz zu manch anderem Schriftsteller mit wenigen Worten so eine Tiefe und Qualität erreichen kann, wie andere es nicht mit dicken Wälzern schaffen. Mechthild Borrmann ist einfach eine Klasse für sich. 

Es ist ein wirklich aufwühlendes Buch. Einige der Darsteller sind mir sehr ans Herz gewachsen und ich bin froh, dass es für die meisten von ihnen ein versöhnliches Ende nimmt. Aber es gibt auch tragische und erschütternde Todesfälle und das Buch hat mir streckenweise wirklich die Kehle zugeschnürt und meine Gefühle durchgeschüttelt. Am Ende laufen die Fäden aus allen drei Strängen harmonisch zusammen und halten noch die ein oder andere Überraschung bereit.

Eines meiner Jahreshighlights und meiner Meinung nach, eines von Borrmanns besten Büchern - und ich finde wirklich alle hervorragend.

Kommentare

Brocéliande kommentierte am 03. Januar 2017 um 23:18

Deiner Rezension kann ich mich nur anschließen!!! Eine meisterhafte Erzählerin - ein erschütterndes Stück deutscher Nachkriegsgeschichte!