Rezension

Jonas Winner - Die Zelle

Die Zelle - Jonas Winner

Die Zelle
von Jonas Winner

Bewertet mit 4 Sternen

Kurzbeschreibung: 
Sammy ist elf und gerade mit seinen Eltern nach Berlin gezogen. Im Luftschutzbunker der alten Jugendstilvilla, die die Familie im Grunewald bezogen hat, macht er eine verstörende Entdeckung. Ein vollkommen verängstigtes Mädchen, nicht viel älter als er, ist dort unten in einer Zelle eingesperrt, die man mit Gummifolie ausgekleidet hat. Nur durch einen winzigen Schlitz hindurch kann er sie sehen. Am nächsten Tag ist die Zelle leer, das Mädchen verschwunden. Und für Sammy kann es dafür eigentlich nur einen Grund geben: seinen Vater. *Quelle*

Zum Autor: 
Jonas Winner, geboren 1966 in Berlin, promovierter Philosoph, arbeitete nach dem Studium in Berlin und Paris als Journalist, Redakteur für das Fernsehen und als Drehbuchautor (ARD, ZDF, Sat.1). Sein Selfpublishing-Bestseller "Berlin Gothic" sorgte im Netz für Furore. 2012 feierte er mit dem Thriller "Der Architekt" einen großen Erfolg, 2014 folgte "Das Gedankenexperiment". Der Autor lebt mit seiner Familie in Berlin.

Meinung: 
Berlin im Sommer 1996: Der 11-jährige Sam Grossman zieht mit seiner Familie, bestehend aus Vater Nathan, Mutter Becky, seinem 15-jährigen Bruder Linus und dem Kindermädchen Hannah von London in eine alte Villa im Grunewald. Becky hat ein Engagement an der hiesigen Oper und Nathan komponiert Musik für drittklassige Filme. Beide Elternteile überlassen ihre Kinder größtenteils sich selbst, es sind Sommerferien und Sam stromert über das für ihn neue Grundstück, bis er im dazugehörigen alten Luftschutzbunker des Anwesens ein junges Mädchen entdeckt, das anscheinend gefangen gehalten wird.

Für Sam ist sofort klar, dass sein Vater dieses Mädchen eingesperrt hat. Doch als er sie am nächsten Tag nochmals aufsuchen will, ist das Mädchen verschwunden und die Zelle so unberührt, als wäre jahrzehntelang niemand mehr dort gewesen. Schnell beginnt Sam an sich selbst zu zweifeln, was er dort unten wirklich gesehen hat. Er zieht fremde Leute ins Vertrauen, da er seiner eigenen Familie nicht mehr traut und setzt damit verheerende Prozesse in Gang, die sich nicht mehr aufhalten lassen.

Die Zelle von Jonas Winner beeindruckt durch eine durchgängig düstere und beklemmende Atmosphäre, obwohl der Roman im Hochsommer spielt. Durch Sams Entdeckung bereitet man sich auf einen spannenden Thriller vor, der zwar die Erwartung durchaus halten kann, aber auch durch einige Längen, nachdem Sam das Mädchen im Bunker entdeckt hat, etwas an Fahrt verliert, was aber wiederum durch das starke Ende wieder versöhnt.

Sam, der seine Geschichte 20 Jahre später rückblickend erzählt, ist für sein damaliges Alter von 11 Jahren schon recht erwachsen und bleibt durch seine stets beschäftigten Eltern größtenteils sich selbst überlassen, denn auch sein Bruder Linus geht mit seinen neuen Freunden eigene Wege. Da er viel Fantasie hat, ist er ein unzuverlässiger Erzähler, denn man kann nie sicher sein, was von seinen Aussagen und Wahrnehmungen nun real und was Einbildung ist. Als er das Nachbarsmädchen, die gleichaltrige Marina, kennenlernt, scheint er endlich jemanden gefunden zu haben, der ihn versteht und ernst nimmt.

Die Nebencharaktere wie Linus und Mutter Becky bleiben stets nur Randfiguren. Das Kindermädchen Hannah wird nur auf seine fraulichen Reize degradiert, die vor allem Linus betören und Vater Nathan mutiert bei Fortschreiten der Handlung zu einem unsympathischen Mann, der dem Wahn zu verfallen scheint, woran seine Musik nicht ganz unschuldig ist.

In kurzen, kursiv abgedruckten Kapiteln kommt auch der Täter zu Wort. Diese Abschnitte sind abstoßend, blutrünstig und nicht für zartbesaitete Leser gedacht, denn hier wird das ganze Ausmaß des Wahnsinns, der im Täter vor sich geht, bis ins kleinste Detail beschrieben.

Mit dem Ende, das erst im Prolog dem Leser vorher nicht bekannte Informationen liefert, konnte mich Jonas Winner dann nochmal richtig überraschen, und somit konnte mir Die Zelle ein paar spannende Lesestunden bescheren.

Fazit: 
Die Zelle ist ein größtenteils spannender Thriller mit einem unzuverlässigen Erzähler, der Realität und Fiktion verschwimmen lässt. Es treten zwar einige Längen auf, die aber durch ein fulminantes Ende nicht zu sehr ins Gewicht fallen.