Rezension

Kein atemloser Thriller, sondern eine große Enttäuschung...

Wahrheit gegen Wahrheit
von Karen Cleveland

~ Die Erwartungen waren hoch: Von „Wahrheit gegen Wahrheit“ habe ich mir einen atemlos spannenden Spionagethriller erwartet. Leider wurde ich bitter enttäuscht. Viel Potential wird verschwendet, weil die Geschichte sich zu oft in banalen Rückblenden und Beschreibungen des Familien- und Beziehungsalltags verliert und dadurch kaum Spannung aufkommt. Zudem wird Vivians Arbeitsleben nur sehr oberflächlich behandelt, es gibt hier kaum interessante Einblicke. Was den Schreibstil betrifft, so hat mich die Intensität der beschriebenen Gefühle der Figuren begeistert, die unzähligen Wiederholungen haben mich jedoch sehr genervt. Vivian ist eine sympathische, aber sich unlogisch und sehr inkompetent verhaltende Hauptfigur, die als Spionageabwehr-Analystin absolut unglaubwürdig ist. Die Stärken des Buches wie die unerwarteten Wendungen und das moderne Rollenverständnis konnten das Ruder nicht mehr herumreißen. Aus den genannten Gründen kann ich leider nicht mehr als eineinhalb Lilien vergeben. ~

Inhalt

Vivian, eine Spionageabwehr-Analystin bei der CIA, führt mit ihrem Ehemann Matt und ihren vier Kindern ein glückliches Leben. Bei der Arbeit ist sie an einem Meilenstein angelangt, endlich erhält sie Zugriff auf den Computer eines russischen Agentenbetreuers. Dort findet sie einen Ordner mit Fotos von russischen Schläfern – Spionen, die in den USA für Russland operieren. Eigentlich ein schöner Moment für Vivian – bis sie das dritte Foto sieht. Darauf ist ein Gesicht abgebildet, das sie nur allzu gut kennt: ihr Ehemann Matt…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens und Präteritum
Perspektive: hauptsächlich aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: mittel
Tiere im Buch: Es kommen keine Tiere im Buch vor.

Warum dieses Buch?

Es handelt sich hier um einen Bestseller, der gerade mit Charlize Theron verfilmt wird. Der eigene Ehemann – ein russischer Spion. Die perfekte Ausgangslage also für einen spannenden, atemlosen Thriller - dachte ich zumindest.

Meine Meinung

Einstieg (+/-)

Schon am Beginn sind die Schwächen des Buches klar zu erkennen, nur weiß man es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Denn der langsame Erzählstil und die vielen Familienszenen passen zu einer Einleitung, die uns einen ersten Überblick über den Alltag einer Spionageabwehr-Analystin geben will. Vom Hocker gerissen hat mich der Anfang dennoch nicht. Aber weil der Klappentext so spannend klang, war ich nur allzu gerade bereit, dem Buch eine Chance zu geben. Ich versprach mir Großes.

Inhalt, Themen & Botschaften (-!)

Eines der größten Probleme, die ich mit diesem Buch hatte, war die riesige Kluft zwischen dem, was ich erwartete und dem, was ich schlussendlich bekam. Ich erwarte mir von einem als Spionagethriller beworbenen Buch atemlose Spannung, Intrigen, Geheimnisse und genug Gelegenheiten, selbst mitzurätseln. Was ich nicht mit einem Spionagethriller verbinde: unzählige, banale Rückblenden, zahlreiche alltägliche Kindererziehungs- und Familienszenen und Beziehungsdiskussionen. Jeder Meilenstein der Beziehung, jede Schwangerschaft, jedes angeblich verräterische oder wichtige Gespräch im Leben von Matt und Vivian wird uns von der Protagonistin aufgezwungen, ständig werden Kinder hochgehoben, sauber gemacht und beobachtet. Nicht nur, dass mich das genervt und überhaupt nicht interessiert hat, es führt auch dazu, dass vom angepriesenen Thriller nur sehr wenig übrigbleibt.

Matts Betrug und Vivians Arbeitsleben (die Gründe, warum ich dieses Buch lesen wollte) nehmen zwar gegen Ende des Buches mehr Raum ein (dann wird es auch spannender), dennoch geht die Autorin hier nur sehr selten in die Tiefe. Es hat mich noch etwas anderes massiv gestört: Wenn Karen Cleveland nicht selbst einmal als Analystin bei der CIA gearbeitet hätte, hätte ich gesagt, hier wurde einfach sehr schlecht recherchiert. Dass sie allerdings einmal denselben Beruf wie Vivian ausgeübt hat, schockiert und irritiert gleichermaßen. Wenn nämlich alle Mitarbeiter bei Geheimdiensten derart stümperhaft, inkompetent und naiv wie Vivian sind (die eine sehr wichtige Position innehat), sollten wir uns wirklich Sorgen machen! Man erfährt kaum Details über Vivians Aufgaben, erhält nicht den erhofften spannenden Einblick in einen Geheimdienst. Stattdessen wirken (wie auch schon in einer anderen Rezension angemerkt wurde) Vivians Kompetenzen in den Bereichen Landeskunde, It-Wissen und vor allem auch Sprachfähigkeiten absolut nicht ihrer Position angemessen. Wie soll sie beispielsweise einen Computer auf verdächtiges Material untersuchen, wenn sie nur wenige russische Vokabeln kennt? Braucht sie dann nicht ständig eine/n Übersetzer/in? Wäre es dann nicht sinnvoller, Vivian gleich zu kündigen und die Übersetzerin ihre Aufgaben erledigen zu lassen? Fragen über Fragen und viel Verständnislosigkeit dominierten meine Leseerfahrung. Dieser Aspekt des Buches hat mich wirklich sehr enttäuscht! Die vielen begeisterten Rezensionen und das Lob von John Grisham kann ich daher leider nicht nachvollziehen.

Schreibstil (-)

Der Schreibstil konnte mich leider großteils nicht überzeugen. Er ist zwar einfach und anschaulich, und der Autorin gelingt es auch immer wieder, die Gefühle der Hauptfigur sehr intensiv zu schildern, jedoch strotzt er nur so vor Wiederholungen. Manche sind bewusst gesetzt, andere passieren unabsichtlich (oft hätte man diese sehr einfach umgehen können). Es ist für mich vollkommen in Ordnung, wenn Wiederholungen als Stilmittel (in angemessenem Ausmaß) eingesetzt werden, aber bitte nicht viermal pro Seite! Das hat mich sehr genervt, ebenso wie die Neigung der Autorin, Sätze seltsam abzutrennen und dann in Halbsätzen fortzuführen. Ich muss leider sagen, dass ich mehrmals kurz davor war, das Buch abzubrechen.

„Ich hasste Schusswaffen und Matt wusste, dass ich Schusswaffen hasste.“ Ebook, Position 3414

„Eine Realität, von der er sich wünscht, sie wäre nicht so. Das wünsche ich mir auch. Und wie ich mir das wünsche.“ Ebook, Position 4404

„Ich bin still. Um uns herum das ganze Haus ist still. Alles ist unheimlich still.“ Ebook, Position 852

Protagonistin (-)

Vivian war für mich eine anstrengende Protagonistin, deren Entscheidungen und Naivität ich oft nicht verstehen konnte. Teilweise schmiedet sie unlogische Pläne, bei denen mir sofort klar war, dass sie nur schiefgehen können. Eine Spionageabwehr-Analystin sollte solche Fehler nicht machen, mehr Hausverstand besitzen und nicht ihre Familie durch solche Aktionen in größte Gefahr bringen. Als Analystin ist Vivian daher absolut unglaubwürdig. Dennoch hat die Protagonistin auch ihre guten Seiten, auch wenn die negativen dominieren: Es fällt leicht, mit ihr bei Rückschlägen (auch wenn sie oft selbst schuld ist) mitzufühlen, weil ihr Beschützerinstinkt und ihre verzweifelten Versuche, die Familie zusammenzuhalten authentisch und intensiv beschrieben werden.

Figuren (+)

Die Nebenfiguren konnten mich jedoch fast durchgehend überzeugen und machen für mich den besten Aspekt des Buches aus. Sie sind undurchschaubar, liebevoll gezeichnet und verbergen so manches Geheimnis. Auch Matt stellt eine interessante Figur dar, die während des ganzen Familiendramas (ein Thriller ist das für mich nicht) schwer einzuschätzen ist.

Spannung & Atmosphäre (-!)

Wo ich mir atemlose Spannung erhofft hatte, musste ich mich durch seitenlange Erinnerungen der Hauptfigur quälen. Der Spannungsbogen ist über weite Teile des Buches kaum vorhanden und entspricht keinesfalls dem eines Thrillers. Die Geschichte ist hier viel zu sehr auf die Kinder und den Alltag der Eltern fixiert, diese Stellen haben mich zum Großteil überhaupt nicht interessiert. Auch die Beziehungsdiskussionen zwischen Matt und Vivian scheinen sich ständig im Kreis zu drehen. Meiner Meinung nach wurde das Pulver (die Entdeckung, dass Matt ein russischer Spion ist) schon viel zu früh verschossen, wodurch der Spannungsaufbau sich schwierig gestaltete. Es gab manche spannende, unheilvolle Stelle und auch überraschende Wendungen, die mir gefallen haben, jedoch haben diese meinen Gesamteindruck vom Buch leider nicht mehr retten können.

Geschlechterrollen (+)

Das Rollenbild im Buch konnte mich dafür überzeugen. Auch wenn die älteren Kinder sich mit typischen Spielsachen beschäftigen (Prinzessinnen, Sport), so leben die Eltern doch ein sehr modernes Rollenverständnis vor: Vivian arbeitet Vollzeit und kommt erst abends nach Hause, ihr Ehemann arbeitet von Zuhause aus und kümmert sich daher um die Kinder. Er bringt sie zur Schule/Kita, tröstet, schlichtet Streit und kocht routiniert das Abendessen. Für die Kinder ist er die Vertrauensperson und geht sehr liebevoll mit ihnen um. Dieser Bruch mit veralteten Genderstereotypen hat mir sehr gefallen! Großes Lob an dieser Stelle!

Mein Fazit

Die Erwartungen waren hoch: Von „Wahrheit gegen Wahrheit“ habe ich mir einen atemlos spannenden Spionagethriller erwartet. Leider wurde ich bitter enttäuscht. Viel Potential wird verschwendet, weil die Geschichte sich zu oft in banalen Rückblenden und Beschreibungen des Familien- und Beziehungsalltags verliert und dadurch kaum Spannung aufkommt. Zudem wird Vivians Arbeitsleben nur sehr oberflächlich behandelt, es gibt hier kaum interessante Einblicke. Was den Schreibstil betrifft, so hat mich die Intensität der beschriebenen Gefühle der Figuren begeistert, die unzähligen Wiederholungen haben mich jedoch sehr genervt. Vivian ist eine sympathische, aber sich unlogisch und sehr inkompetent verhaltende Hauptfigur, die als Spionageabwehr-Analystin absolut unglaubwürdig ist. Die Stärken des Buches wie die unerwarteten Wendungen und das moderne Rollenverständnis konnten das Ruder nicht mehr herumreißen. Aus den genannten Gründen kann ich leider nicht mehr als eineinhalb Lilien vergeben.

Empfehlung: Ich kann das Buch leider nicht weiterempfehlen und rate eher dazu, auf die Verfilmung zu warten.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 1,5 Stern
Ausführung: 1,5 Sterne
Schreibstil: 2 Sterne
Protagonistin: 1,5 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Atmosphäre: 1,5 Sterne
Spannung: 1,5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 2 Sterne
Geschlechterrollen: +

Insgesamt:

❀,5 Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 1,5 enttäuschte Lilien!