Rezension

Klasse Anfang, absurdes Ende

Kaltes Verlangen - Natalie Tielcke

Kaltes Verlangen
von Natalie Tielcke

 Der große Reiz von Kaltes Verlangen ging für mich von der Tatsache aus, dass wir einen Stalking-Thriller einmal nicht aus der Sicht des Opfers erleben, sondern aus Sicht der Täterin. Wenn Kim Kestrel einen Menschen interessant findet, dann entwickelt sie eine regelrechte Obsession, bis ihre Neugierde gestillt ist. Sie würde niemals jemandem körperlichen Schaden zufügen, aber sie verspürt diesen heftigen Drang, alles über ihr Opfer zu erfahren und manchmal lässt sie nicht locker, bis sie es auch getan hat. Dabei hat Natalie Tielcke es geschafft, dass Kim durchaus sympathisch erscheint und man mit ihr mitfiebert. Ja, man entwickelt sogar die gleiche Neugierde auf das Leben der Menschen, denen sie nachstellt.

        "[W]as war schon dabei? Sie tat den Menschen ja nichts. Sie schaute ihnen bloß bei ihrem Leben zu. Mal nur einen kurzen Moment [...]. Und dann eben manchmal auch so lange, bis sie die Lust verlor oder ihr ein interessanteres Beobachtungsprojekt begegnete."
        (Position 78 von 2813)

Ihr neustes Beobachtungsprojekt ist Anna, doch während ihrer Beobachtungen lernt sie Annas Freund Max kennen, und ist sofort wie besessen von ihm - und verliebt sich. Und da Max Psychotherapeut ist, beschließt sie, sich bei ihm in Behandlung zu geben, um ihm nah zu sein. Und eigentlich könnte der Psychothriller ab hier schon einer sehr spannenden, aber geradlinigen Handlung folgen. Doch das tut er nicht und das ahnt man schon, wenn man die Tagebucheinträge aus den 1990er Jahren liest. Und der erfahrene Thriller-Leser beginnt sich zu fragen: ist Kim hier wirklich die Täterin? Oder gibt es in dieser Geschichte noch viel schlimmere Menschen?

        "Liebes Tagebuch,
        [...] [g]estern Nacht hatten wir unser erstes Mal und es war der Hammer! Ich will unbedingt mehr davon. Wir haben uns gewürgt, an den Haaren gezogen, geschlagen und geliebt.
"
        (Position 304 von 2813)

Kaltes Verlangen hat mich durch seine Vielschichtigkeit überrascht und die ersten zwei Drittel über fand ich das großartig. Mit dem leicht holprigen Schreibstil bin ich nicht so richtig warm geworden, aber das hat der Plot durch sich schnell aufbauende Spannung wieder ausgeglichen. Dann allerdings überschlagen sich die Ereignisse irgendwann und der Plot nimmt Wendungen, die nicht nur überraschen, sondern die regelrecht absurd erscheinen. Plötzlich scheint sich alles zu ändern und das ist nicht unbedingt positiv zu verstehen, denn viele dieser Wendungen empfand ich als unlogisch und an den Haaren herbeigezogen. Es wirkte ein bisschen so, als wüsste die Autorin nicht, was sie mit all ihren Handlungssträngen tun und wie sie sie letztendlich verbinden sollte.

Kaltes Verlangen hat mich schnell in seinen Bann gezogen und ich wollte unbedingt mehr über die Figuren und ihre seelischen Abgründe erfahren, aber nach dem letzten haarsträubenden Drittel habe ich diesen Thriller dann doch mit einem sehr, sehr schalen Beigeschmack beendet und meine anfängliche Euphorie hat sich gelegt. Schade.

(c) Books and Biscuit