Rezension

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Komplexe Story, gefühlvoll erzählt

Die Frauen meiner Familie - Tanja Weber

Die Frauen meiner Familie
von Tanja Weber

Bewertet mit 5 Sternen

1982 in einer großen Altbauwohnung in München-Schwabing:
"Wenn Elsa erwachte, war das Erste, was sie sah, die Frau. Sie musste ihr direkt in die Augen blicken. Ganz gleich, ob sie auf der seite lag oder auf dem Rücken, ihre Augen wurden, kaum hatten sie sich geöffnet, magisch von ihr angezogen."

1912: Inspiriert durch seine Muse Rosa schuf der Maler Rudolf Newjatev das Bild Mon amour.
Es war das Bild, welches in dem Zimmer bei Oma Regine hing und morgens der erste Blick von Else darauf fiel.
2014: Die Kunsthistorikerin Dr. Elsa Hannapel arbeitete bei einem großen Versicherungsunternehmen. Gerade las sie die Meldung, dass ihr Bild und noch zwei weitere aus einer Antwerpener Galerie als gestohlen gemeldet waren.
Welche Geschichte steckte hinter dem Bild? Und wieso war es nicht mehr im Familienbesitz? Was hatte Lutz, Elses Vater, nach dem Tod von Oma Regine damit gemacht?
Kindheitserinnerungen, die guten bei Oma Regine in München. Die harten auf dem Bauernhof weit draußen mit der Mutter Ricarda und ihrem Bruder Arto. Das Bild Mon amour sollte die Urgroßmutter Annelie sein, so hatte es Elsa im Kopf. Nie war ein gegenteiliges Wort gefallen. Zu ihrer Chefin Marion hatte Elsa ein normales Verhältnis. Egal wie Marion wirkte, sie war ein Profi für Kunstgeschichte. Was den Diebstahl und das Bild betraf, musste Elsa neutral bleiben, doch dies war ihr Bild. Sie musste es finden.

Die Handlung wird auf zwei Zeitebenen erzählt. In der Gegenwart ist es Else, Ende Dreißig, in München lebend, liiert mit Hajo, ihrem Lebensgefährten, der in Potsdam lebte und arbeitete. Es war seit Jahren keine einfache Beziehung. Durch einen Anruf in Frankreich bei ihrem Vater erfährt Elsa, dass dieser das Bild verkauft hat. Wörtlich …"ich habe es vertickt" … Eben des Geldes wegen.
Die Vergangenheit spielt in München vor dem Ersten Weltkrieg. Hier geht es um Annelie, der Urgroßmutter von Elsa, die in einem wohlhabenden Elternhaus aufwächst. Ihr Vater ist Arzt und ebnet ihr den Weg zur "Münchener Post". Annelies größter Wunsch war Journalistin zu werden. Nun, jeder muss klein anfangen, auch Annelie. Die Zeitung war sozial-liberal. Gesellschaftlich macht sie in der Szene Bekanntschaft mit den Künstlern des "Blauen Reiters". Hier habe ich noch ganz frisch das Buch "Die Malerin" im Kopf.
Tanja Weber hat mit "Die Frauen meiner Familie" eine Familiengeschichte geschrieben, die den Leser nicht so schnell loslässt. Elses Aufarbeitung, die sie eng in die Vergangenheit führt, den Raub entarteter Kunst in der Zeit zum Zweiten Weltkrieg hin und dazwischen kurz gefasst noch ihr eigenes Leben und die damit verbundenen Probleme. Denn nicht nur ihre Beziehung zu Hajo wird in Frage gestellt, es sind immer wieder die kleinen Episoden zu Ricarda, ihrer Mutter. Nur gut, dass sie Arto hat.

Zitat S. 185 "Die Geschichte von "Mon amour" war auch ihre Geschichte. Es war im Moment ihre dringlichste Aufgabe, diesen gordischen Knoten zu zerschlagen.

Geschickt wechselt die Autorin zwischen den Zeitebenen und zeichnet auf, dass das Geheimnis um das Bild mehr ist. Es gilt nunmehr, das Geheimnis der Familie zu entschlüsseln, verbunden mit den Ereignissen zweier Weltkriege. Der geschichtliche Hintergrund gerade zu den Gegnern der Kunst ist sehr gut beschrieben.
Es ist die Authenzität als auch das Schicksal, was den Roman zu einem absoluten Lesehighlight ausmacht. Tanja Weber hat hier ein äußerst wichtiges Thema, gerade durch den Fund von über 1200 Gemälden im Jahr 2012 in der Wohnung von C. Gurlitt in München, immer noch aktuell, aufgegriffen. Es hat sie jahrelang beschäftigt.
Man sollte an diesem Buch nicht so vorbeigehen oder sich von dem Cover beeinflussen lassen. Ein zweiter Blick und man erkennt, was für ein Buchschatz sich hinter den Buchdeckeln verbirgt.