Rezension

Krimi mit Geschichtslektion

Die Gärten von Istanbul - Ahmet Ümit

Die Gärten von Istanbul
von Ahmet Ümit

Bewertet mit 4 Sternen

Klassischer Krimi, Reiseführer, Geschichtsunterricht - in diesem atmosphärisch dichten Roman hat man gleich drei Genres in Einem.

Hauptkommissar Nevzat von der Mordkommission Istanbul ist nach dem Tod von Frau und Tochter noch immer in Trauer, nur mühsam findet er zurück ins Leben. Er lenkt sich mit viel Arbeit ab. Da wird er mit einem grausamen Mord konfrontiert: Vor dem Atatürk-Denkmal wird ein Mann mit durchgeschnittener Kehle gefunden, mit einer historischen Münze in der Hand. Was hat das zu bedeuten? Nevzat und seine zwei Assistenten, der impulsive Ali und die analytische Zeynep, machen sich an die Arbeit. Als am Tag darauf erneut eine ebenso zur Schau gestellte Leiche gefunden wird, ist klar: Man hat es mit einem Serienmörder zu tun. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt... 

Klassischer Krimi, Reiseführer, Geschichtsunterricht - in diesem atmosphärisch dichten Roman hat man gleich drei Genres in Einem. Der Autor versteht es, einen komplexen Fall zu konstruieren und diesen mit der reichhaltigen Geschichte einer faszinierenden Stadt in Einklang zu bringen. Auch seine Charaktere sind einzigartig, vielschichtig und bieten reichlich Facetten. Besonders Hauptfigur Nevzat, aus deren Sicht die Ereignisse in der Ich-Form erzählt werden, gewährt, bedingt durch die Erzählperspektive, tiefe Einblicke in sein Seelenleben, in seine Gedankengänge zum Fall, aber auch in seine zwiespältige Gefühlswelt. 

Formal ist das Buch in sieben Teile aufgeteilt, ein jedes - bis auf das letzte - wiederum in mehrere Kapitel. Diese haben als Überschrift sehr passende Zitate aus dem jeweiligen Kapitel. Der Schreibstil ist etwas gewöhnungsbedürftig, mal flapsig, mal gehobener in den Geschichtspassagen, aber durchaus flüssig und gut zu lesen. Ich musste mich zunächst erst einmal an die fremdartigen Namen gewöhnen und die Anrede - in der Türkei wird geduzt, allerdings im geschäftlichen Umgang mit dem respektvollen Bey oder Hanim hinter dem Vornamen, was Herr oder Frau bedeudet. 

Von den Charakteren fand ich Hauptkommissar Nevzet am Interessantesten, was natürlich auch der Erzähl-Perspektive geschuldet ist. Alles ist auf ihn ausgerichtet, er ist der führende Kopf im Team, dem zugearbeitet wird, und auch von seinem Privatleben erfährt man mit Abstand am meisten. Berührend wird seine Trauer um Frau und Kind beschrieben, seine vorsichtige Annäherung an eine neue Liebe, seine Verbundenheit mit seinen Freunden Yekta und Demir. Er ist ein Kind des türkischen Bildungsbürgertums, hochintelligent und sehr geschichtsinteressiert, außerdem liebt er seine Stadt Istanbul, obwohl diese ihm jeden Tag aufs Neue Schreckliches offenbart. Im Beruf ist er ein analytischer und sachlicher Denker, der loyal zu seinem Team steht, und ein absoluter Gerechtigkeitsfanatiker, im Privaten ein treuer und sensibler Gefühlsmensch. Neben ihm besteht als Charakter eigentlich nur noch die Museumsdirektorin Leyla in ihrer Vielschichtigleit und Hingebung zum Beruf. Sehr sympathisch waren mir aber auch der impulsive Ali und seine Kabbeleien mit Zeynep, er brachte immer ein bisschen Bodenständigkeit und Humor in die manchmal trockenen Exkurse, und Nevzets Freunde Demir und Yekta. 

Inhaltlich ist der Roman sehr komplex. Er beginnt als klassischer Krimi: Mord und die Frage nach dem Wer und Warum. Schnell wird die geschichtliche Verbindung deutlich, seine Ermittlungen führen Nevzat durch das historische Istanbul, er bekommt es mit Museumsdirektoren, aber auch mit Baulöwen und Untnehmern, mit religiösen Eiferern und linken Vereinigungen zu tun. Ein Großteil nehmen in der Darstellung die geschichtlichen Exkurse ein, besonders in der Mitte des Buches tritt hierfür die Krimihandlung stark zurück. Diese Exkurse sind in gehobener Sprache verfasst und kommen mitunter sehr oberlehrerhaft herüber - was sogar auch explizit erwähnt wird. Ich muss gestehen, dass es selbst mir, als wirklich geschichtsinteressiertem Leser, manchmal zuviel wurde und dass ich lieber mehr über die Ermittlungsarbeit gelesen hätte. Auch fand ich die eine oder andere dargebrachte Lektion unnötig und den Erzähler derselben unglaubwürdig. Dass eine Museumsdirektorin sich auskennt, ist vollkommen legtim, auch wenn sie wirklich sehr oft ungebremst ihre Monologe ausführen durfte. Dass aber zwei Obdachlose ebenfalls das Wissen eines Geschichtslehrers besitzen, fand ich eher merkwürdig. Die extrem häufigen und ausufernden geschichtlichen Monologe gingen dann leider auf Kosten der Spannung. Sehr interessant fand ich hingegen durchweg die Beschreibung der historischen Stätten Istanbuls und wohltuend der Verzicht auf allzu blutige Details. Im letzten Drittel nimmt die Geschichte dann wieder gehörig Fahrt auf, die Krimihandlung gewinnt die Oberhand bis zum sehr packenden und auch überraschenden Finale. 
Fazit: Interessante und durchaus gelungene Mischung aus Krimi und Geschichtslektion. Der Autor verfügt über ungeheures Wissen und liebt seine Stadt. Meines Erachtens eher nichts für den klassischen Krimileser, Interesse an der Geschichte der Stadt Istanbul ist unbedingt vonnöten, sonst wird es eine Quälerei. Wenn man sich hierauf einlässt, erfährt man viel über das Leben, die Menschen und natürlich die Vergangenheit dieser faszinierenden Metropole am Bosporus.