Rezension

Kurz vor genial

I.Q. - Joe Ide

I.Q.
von Joe Ide

Bewertet mit 4 Sternen

Beim Lesen dieses Buches musste ich mich mehrfach umorientieren. 
Da ist I.Q., Isaiah Quintabe, smart, cool, schwarz, der als Privatdetektiv für arme Leute arbeitet, sich dafür mit selbstgebackenen Keksen bezahlen lässt und in seiner spartanisch eingerichteten Wohnung klassische Musik hört. Und wenn er dann dringend einen gut bezahlten Auftrag sucht, damit er einem behinderten Jungen die Eigentumswohnung finanzieren kann, läuten die Kitschalarmglocken. Was wird das hier? Robin Hood für kalifornische Underdogs? 

Dann lernt man ihn näher kennen. Seine Geschichte ist fesselnd und sehr traurig. Ein ungewöhnlich kluger kleiner Junge muss sich alleine durchs Leben kämpfen und gerät in kriminelle Kreise. Drogenhandel, Bandenkriege, Kleinkriminalität, eine Welt, wo das Wort „Gangsta“ eine anerkannte Berufsbezeichnung ist und „Mothafu**a“ zum bevorzugten Vokabular gehört. 

Eigentlich liest man jetzt zwei Geschichten. Während I.Q. den Auftrag eines berühmten Rappers annimmt, der von einem Killer verfolgt wird, kehrt man immer wieder in die Vergangenheit zurück. Das ist spannend und innovativ. Ermittlern in einem Thriller ein Gesicht zu geben ist gerade eine beliebte Masche und auch nicht grundsätzlich verkehrt. Nur bekommt man meistens die Geschichte des engagierten Kriminologen, der darüber seine Ehe vernachlässigt und die Schulaufführung des Töchterleins vergisst, was gut gemeint, aber langweilig ist. Hier haben wir einen ganz anderen Ermittler, der ein origineller Typ ist und einen spannenden, bewegenden Hintergrund aufweisen kann. 

Das hat mich sehr begeistert. Leider bleibt dadurch die eigentliche Thrillerhandlung ein wenig auf der Strecke. Zwar ist es spannend zu sehen, wie I.Q. aus banalen Informationen unglaubliche Schlussfolgerungen zieht und mit ungewöhnlichen Methoden dem Täter auf die Spur kommt. Aber die Momente atemloser Spannung, die man sich von einem Thriller wünscht, bleiben aus. Zu oft wird man aus dem Geschehen gerissen, zu fesselnd ist die Vergangenheit und zu wenig fasziniert die Geschichte eines erfolgreichen Musikers mit Burnout. 

Bisweilen ist die Sprache schwer verdaulich. Slangausdrücke, Insider-Witze über amerikanische Marotten und Örtlichkeiten, ungewohnte Namen, bei denen man sich fragt, ob wohl ein Mensch oder ein Ort gemeint ist, erschweren hier und da das Verständnis. Den Epilog habe ich leider gar nicht verstanden. Schade eigentlich. Weiß jemand, was ein lila L auf einer goldenen Mondsichel bedeutet? 

Trotzdem hat mich dieses Buch mehr erfreut als geärgert. Es ist ein ungewöhnlicher Thriller, der innovativ ist und ganz viel richtig macht. Es fehlt nur ein Kick, um genial zu sein.