Rezension

Leben und Tod auf nur 92 Seiten

Ein Tag mit Herrn Jules - Diane Broeckhoven

Ein Tag mit Herrn Jules
von Diane Broeckhoven

Lesen kann man dieses Buch mit nur 92 Seiten quasi zwischendurch, aber inhaltlich ist es nun wirklich nichts, das zwischen Tür und Angel passt.

Zu Beginn des Buches erwacht die Erzählerin des Ganzen, Alice, und nimmt als erstes den Kaffeeduft aus der Stube wahr. So ist es jeden Morgen, denn den Kaffee zu kochen und alles für das Frühstück zu richten, das ist in erster Linie die Aufgabe ihres Mannes Jules. Und so steht Alice auf – in Erwartung eines ganz normalen Tages.
Jules sitzt im Wohnzimmer und schweigt. Es dauert eine Weile, bis die Erzählerin versteht, was vor sich geht: Jules ist tot.

Es geht nicht um einen spektakulären Mord, um Geister oder sonst etwas Fantastisches oder Abstruses. Es geht einfach um den Tod, der bei einem alten Ehepaar erwartet eintritt, aber doch nicht zur rechten Zeit. Es geht darum, Abschied zu nehmen von einem geliebten Menschen, nicht einmal irgendeinem, sondern von dem Menschen, mit dem man einen Großteil seines Lebens er- und gelebt hat.

Alice macht an diesem Tage in der gewohnten Struktur das, was sie sonst zusammen mit Jules getan hat – und doch stolpert sie immer wieder über Dinge, die in Zukunft anders laufen werden und müssen. Sie kann nun essen, was sie möchte, trinken, was sie möchte. Sie kann an Kleidung tragen, was sie möchte und sie braucht nicht mehr genau auf bestimmte Manieren zu achten. Aber sie wird auch morgens keinen Kaffeeduft mehr riechen, der sie weckt, sie wird keine Gespräche mehr mit Jules führen, es gibt keine Arbeitsteilung mehr.

Sie redet mit ihrem toten Mann, als sei er noch da, und ohne jemanden zu informieren nimmt sie sich die Zeit, von Jules Abschied zu nehmen. Sie sagt ihm, was sie mochte, liebte, hasste und erzählt von alten Verletzungen, über die sie gemeinsam zu seinen Lebzeiten nicht sprachen.

Man sieht: Es sind nur 92 Seiten, aber es steckt unglaublich viel in diesem kleinen Büchlein. Vor allem der Stil ist es, der mitreißt. Nichts ist besonders Effekt heischend, dramatisch oder kitschig, sondern es ist eine Geschichte, die mitten aus dem Leben kommt und das Leben verabschiedet. Es zeigt den Tod, wie er einen wirklich betrifft, nicht fiktional, nicht im Kino, sondern gänzlich realistisch.

Dabei hat die Autorin alles so wunderbar detailliert eingefangen, so punktgenau beschrieben und hat doch vieles zwischen den Zeilen gelassen, das man als Leser entdecken kann, eine Geschichte des Alterns und des Alters, eine Liebes- und Ehegeschichte, eine Geschichte der Akzeptanz, des Respekts, eine Lebensgeschichte und eine Geschichte des Abschieds.

Einfach wundervoll zu lesen und sehr zu empfehlen!