Rezension

Leider keine erhoffte "Fortsetzung" von Titanic

In einem Boot - Charlotte Rogan

In einem Boot
von Charlotte Rogan

Das Meer ist dein stummer Zeuge

Das Unglück der „Titanic“ ist erst zwei Jahre her, als die junge Grace an Bord der „Zarin Alexandra“ mit ihrem frisch gebackenen Ehemann in die Heimat über den großen Teich aufbricht. Dort hofft sie, ihre Schwiegermutter von sich überzeugen zu können, und ein sorgenfreies Leben an der Seite ihres eroberten Bankiers zu führen.
Zwischen diesen hoffnungsvollen Phantasien liegt allerdings ein trauriges Ereignis, denn das Schiff sinkt eines Nachts und die Rettungsboote reichen erneut nicht für die gesamte Crew. Von dieser dramatischen Sparmaßnahme ahnt Grace erst einmal noch nichts, denn sie sitzt behütet zwischen tapferen Frauen und Männern und hofft, dass ihr Henry ein anderes Boot nehmen konnte.

Nach der Inhaltsangabe habe ich auf einen Roman gehofft, der dort ansetzt, wo der „Titanic“ Blockbuster so tragisch endete. Die Autorin versucht auch gar nicht mit der Dramatik des Untergehens eines riesigen Dampfers zu konkurrieren und so spielt die erste Szene direkt in dem kleinen Wassergefährt, was für die glücklich geretteten in der nächsten Zeit Fluch und Segen zugleich sein wird.
Die Schwierigkeit zeigt sich nämlich schnell darin, dass trotz ihres enormen Glücks die Menschen verzweifeln, immerhin sind die Gedanken an die Lieben allgegenwärtig und die Frage nach dem „Wenn und Aber“ zerfrisst sie regelrecht.
Der Platz ist zu knapp bemessen und ein nahender Sturm zwingt die Besatzung zu einem sehr unmoralischen Vorschlag, denn zum Wohle des Gesamtheit sollen sich einige „freiwillig“ opfern und in den Fluten den Tod suchen. Hinzukommt, dass die Mannschaft kaum Trinkwasser und Nahrungsmittel zur Verfügung hat und die Nerven bald blank liegen, was zur Folge hat, dass selbst an der Führungsposition des erfahrenen Matrosen gezweifelt wird und eine feinfühlige, aber sehr dominante Matrone ihn verdrängen will.
Was nun aber nach einem ausgeklügelten Psychoterror mit spannenden Thrillerelementen auf hoher
See klingt, ähnelt mehr einem Tagebucheintrag, der erstaunlich kühl und sachlich formuliert ist und deswegen einen großen Teil des dramatischen „Zaubers“ verliert.
Die Protagonistin selbst wirkt durch diesen ziemlich distanzierten Erzählstil abgestumpft und berechnet, wodurch ich ihr schon beinahe eine Verurteilung wegen Mordes (der im Prolog erwähnt wird) gegönnt hätte.

Das gefühlt größte Manko, war meine fehlende Vorstellungskraft von dem Ausmaß des Rettungsbootes, welches einen Schlafplatz für erschöpfte Ruderer und sogar Raum für große Fässer geboten hat. Eine Skizze mit Eckdaten, sowie einer Passagierliste, wie sie auf der Autorenhomepage zu finden sind, wären ein nettes Extra für die Leser gewesen.

Die erste Hälfte des Romans hat mir insgesamt ganz gut gefallen, aber danach haben sich leider immer mehr Schwächen durch chaotische Abläufe und langatmige Gespräche bzw. Sticheleien eingestellt, die ihren „krönenden“ Abschluss in einer Farce an Gerichtsverhandlung gefunden haben.
„In einem Boot“ konnte damit leider meine Erwartungen nicht erfüllen, obwohl ich mich sehr auf die Abgründe der menschlichen Seele gefangen in einer sprichwörtlichen Nussschale auf dem blauen, weiten Meer gefreut habe.