Rezension

Leider nur mäßig erhöhte Temperatur.

Meine geniale Freundin - Elena Ferrante

Meine geniale Freundin
von Elena Ferrante

Wie kommt es zu dem unglaublichen Hype, der um dieses Buch gemacht wird? Welcher Nerv wurde da nahezu weltweit getroffen? 
Es brauchte erst den unglaublichen Erfolg in den USA und Großbritannien, wo Elena Ferrantes Neapel-Tetralogie auch die Weihen der hohen Literaturkritik und das Lob bedeutender Schriftstellerkollegen wie etwa Jonathan Franzen erhielt, um aus dem beachtlichen Erfolg in Italien einen Sensationserfolg zu machen, der nun auch in Deutschland veröffentlicht wird. Zwar gibt es auch ein Paar Rufer, die mahnen, dass der Kaiser ja nackt ist und auch der Begriff Trivialliteratur fiel das ein oder andere Mal. Insgesamt wird der Roman aber beinahe enthusiastisch aufgenommen. Der Verlag reagiert mit einer enormen Publicitykampagne und sicher kommt dem Ganzen noch die Tatsache zugute, dass es sich bei Elena Ferrante um ein gut gehütetes Pseudonym handelt. Niemand weiß, wer dahinter steckt, die Gerüchteküche kocht hoch. 
Das alles bringt zwar den Verlagen sicher Rekordeinnahmen (und die seien ihnen mehr als vergönnt), schaden meiner Meinung nach aber dem Buch. Denn bei all dem hochkochenden #ferrantefever kann es doch selbst, für sich allein, höchstens eine mäßig erhöhte Temperatur hervorrufen. Was gar nicht so schlecht wäre. 
Denn die Geschichte um zwei Freundinnen aus einfachsten Verhältnissen, ihr gemeinsames Aufwachsen in einem wenig privilegierten Rione (Bezirk) Neapels in den Fünfziger Jahren und ihren weiteren Weg malt zunächst einmal ein breit angelegtes Gesellschaftsporträt. Zehn Familien mit unzähligen Angehörigen bevölkern den Roman. Ein Personenverzeichnis und Ferrantes geschickte Führung sorgt dafür, dass man dennoch meist den Überblick behält. Es wimmelt in den Gassen von Kindern, da wird geschustert und getischlert, auch die Camorra sitzt schon am Tisch. Das ist ziemlich gut und atmosphärisch geschildert. Dazwischen versuchen die zwei Mädchen Elena und Raffaella ihren Weg zu finden. Hochbegabt die Eine, fehlt ihr aber die nötige familiäre Unterstützung und vielleicht auch der letzte Wille, sie verlässt die Schule früh und sucht ihr Glück in der Heirat mit einem wohlhabenden, vielversprechenden Mann. Da ist sie erst 16. Ihre Freundin ist weniger talentiert, aber ehrgeizig, fleißig und mit dem Quäntchen mehr Glück ausgestattet, was ihr im Endeffekt Abitur und Aussicht auf ein Studium einbringt. 
Die Freundschaft der Beiden, und die meisten Kritiker bejubeln in erster Linie die Darstellung einer Frauenfreundschaft, ist von Anfang an, bei aller Zuneigung, durch ein hohes Maß an Konkurrenz und Neid, vor allem der erzählenden Elena, geprägt. Für mich ist sie eher ein Negativbeispiel. So wie die Erzählerin für mich zunehmend unerträglicher wird in ihrer arroganten Art, ständig ihre Bestleistungen und Erfolge vor sich hertragend. 
Dabei sind die Figuren im Buch nicht flach angelegt, sondern durchaus ambivalent. Manchmal erscheinen Raffaella (Lila) und Elena sogar wie zwei Möglichkeiten einer weiblichen Existenz zur damaligen Zeit. 
Leider verliert sich das Buch oft in der allzu genauen Schilderung unerheblicher Begebenheiten oder Gefühlslagen, wirkliche Ereignisse werden dagegen oft nur aneinander gereiht. Bestimmte Dinge, wie z.B. die schulischen Erfolge Elenas oder das Wer mit Wem der neapolitanischen Jugendlichen werden ständig wiederholt. Politische und zeitgeschichtliche Faktoren fließen dagegen nur in homöopathischen Dosen ein. Das mag am Alter der Protagonisten liegen, das sich mehr um sich selbst als um die Welt dreht (das gälte es dann in den nächsten Bänden zu überprüfen) oder auch am Isoliertsein, dem Abgehängtsein mancher Bezirke Neapels damals. Der interessierte oder aufmerksame Leser mag sich diese Welthaltigkeit auch irgendwo zusammenklauben. Mir hat sie ein wenig gefehlt. Dazu kommt die sehr schlichte Sprache, die natürlich auch zum Sujet passt, aber eben auch keine Glanzlichter setzt. 
Bleibt zu überlegen, wie dieses Buch derartige Begeisterungsstürme zu entfachen vermag. Solide Unterhaltungsliteratur, die es ist. 
Vielleicht gibt die Meldung, dass bereits eine netflix-Serie in Planung ist, darüber ein wenig Auskunft. Ein wenig wie in einer Serie in Buchform kommt man sich vor, mit all dem Personal, den alltäglichen Verwicklungen, den Intrigen, den Cliffhangern. Durch die Ankündigung dreier weiterer Bände kann man den Figuren ganz nah kommen, in ihr Leben eintauchen, sich auf ein Wiedersehen freuen. 
Ein weiterer Punkt, den vor allem weibliche Rezensenten immer wieder betonen, ist die Selbstfindung zweier Frauen, auch unter schwierigen Bedingungen, die interessiert. 
Besonders im amerikanischen Raum mag auch ein wenig Nostalgie mitschwingen. Bella Italia, Napoli wie wir sie aus den neorealistischen Filmen kennen. Vor Menschen wimmelnde Straßen, knatternde Mopeds, laut und intensiv. 
Auch ich konnte mich dem allen nicht immer entziehen. Oft jedoch hat mich das Buch einfach nur gelangweilt. Selten konnte eine reine Punktewertung meinen ambivalenten Gefühlen so wenig Ausdruck verleihen. 
Aber anstatt Ferrantefever herrschte bei mir leider nur mäßig erhöhte Temperatur. 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 19. September 2016 um 17:16

Die wie genau punktemässig zu Buche schlägt? Drück dich nicht!