Rezension

Leider total langweilig

Die Verlassene - Mary Torjussen

Die Verlassene
von Mary Torjussen

Die Verlassene erzählt die Geschichte von Hannah, die nach einer Geschäftsreise zufrieden nach Hause kommt und ihrem Freund Matt davon erzählen will, dass sie gute Aussichten auf eine Beförderung hat. Doch als sie das Haus betritt, ist alles dunkel. Zunächst denkt sie, ihr Freund sei unterwegs, doch dann sieht sie die Veränderungen. Die Bilder, die Matt gekauft hat, fehlen. Seine Möbel sind nicht mehr da. Sein Fernseher. Seine Kleidung. Alle seine Sachen, alle Fotos, auf denen er abgebildet war. Als Hannah tiefer forscht, stellt sie sogar fest, dass alle digitalen Spuren ebenfalls verschwunden sind. Digitale Fotos, Mails, SMS, Telenfonate, seine Nummer... Alles weg. Es ist, als hätte er nie dort gelebt und mein erster Verdacht war: er hat nie existiert, sie hat ihn sich nur eingebildet. Aber nein, das war es nicht, denn die Leute, denen sie davon erzählt, kennen Matt. Es weiß nur niemand, wo er ist.

"Warum hatte er das getan? Ich verstand, dass er alles mitgenommen hatte, was ihm gehörte, aber warum hatte er auch meine Erinnerungen mitgenommen?"
(Seite 51)

Hannah entwickelt eine ungesunde Obsession. In jeder freien Minute - auch auf der Arbeit - sucht sie im Internet nach Spuren von ihm. Fragt bei Freunden, seinem alten Arbeitgeber, seiner Mutter (doch auch die ist umgezogen), erkundigt sich in ihren gemeinsamen Lieblingsrestaurants. Warum hat er sie ohne eine Nachricht, in einer Nacht und Nebelaktion, verlassen? Was ist passiert? Über ihre Suche vernachlässigt sie sich selbst und ihre Arbeit, bei der sie einmal sehr gut gewesen ist. Sie kann einfach nicht darüber hinwegkommen und je mehr ihre beste Freundin Katie ihr sagt, sie soll es gut sein lassen, desto verbissener sucht Hannah. Wie könnte sie auch nicht, wenn sie sich sicher ist, dass Matt noch immer in ihrem Haus ein und aus geht und ihr versteckte Nachrichten hinterlässt?

"Ich blinzelte. Die eckige gläserne Vase voller Tulpen stand noch da. Am Morgen waren die Blumen voll aufgeblüht und schon ein wenig welk gewesen, und ihre Blütenblätter hatten den Eindruck gemacht, als würden sie jeden Moment abfallen. [...] Jetzt waren sie frisch, ihre Blütenblätter zu festen violetten Knospen verschlossen."
(Seite 100)

Soweit so spannend. Aber jetzt kommen sehr viele Punkte, die mich gestört haben. Erstens, was spannend klingt, ist auf einem Großteil der Seiten furchtbar langweilig. Es gibt viele alltägliche Dinge, die immer wiederholt werden, nur dass Hannah mit jedem mal verwahrloster scheint. Sie geht zur Arbeit, sie schreibt oder telefoniert mit Katie und sie recherchiert, tagein tagaus. Dabei ist sie furchtbar launisch und zickig und blafft eigentlich jeden an, der nett zu ihr ist. Sie riskiert sogar eine Kündigung, nur weil sie eine neue Spur gefunden hat, und ignoriert zweite und letzte Chancen. Ich weiß nicht, ob ich mich so selbstzerstörerisch verhalten hätte. Kurzum, Hannah wurde mir immer unsympathischer und es fiel mir schwer, ihre Obsession nachzuvollziehen und mit ihr mitzufiebern.

"Ich zerbrach beinahe daran, meinen Job erledigen zu müssen und  mir den Kopf darüber zu zermatern, wo ich nach Matt suchen sollte."
(Seite 45)

Zweitens. Hannah ist nicht gerade in gesunden Familienverhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater ist gewalttätig und schlägt seine Frau und als erwachsene Frau kuscht Hannah noch immer vor ihm, ist ihm hörig. Sie hat Angst, ihre Eltern zu besuchen, hat Angst, wenn ihr Vater dann nachhause kommt und jederzeit einen Wutanfall haben könnte. Und trotzdem will sie ihm gefallen, tut alles, um ihn zu beeindrucken, schreibt ihm SMS und ruft ihn an, wenn sie das Gefühl hat, ihn enttäuscht zu haben. Ist regelrecht verzweifelt und hysterisch, wenn er ihr nicht zuhört, wenn sie sich nicht rechtfertigen kann. Statt ihrer Mutter zu helfen, dem brutalen Schläger zu entkommen. Statt ihm einfach den Mittelfinger zu zeigen und diesem Mann, der ihr so lange Angst eingejagt hat, entgültig den Rücken zuzukehren.

"Ich brach die Tulpen entzwei und warf sie in den Abfalleimer, doch das genügte nicht, um die Wut in mir zu stillen. Deshalb nahm ich die Vase, die noch voll Wasser war, und schleuderte sie mit aller Kraft gegen die Küchenwand."
(Seite 176)

Drittens. Die Auflösung. Ich weiß auch nicht, nachdem so lange nichts passiert ist, hatte ich irgendwie mehr erwartet. Im Nachhinein hätte man sicherlich selbst drauf kommen können, wenn man alle Hinweise beachtet hätte, es war also nicht zu weit hergeholt, dafür aber extrem konstruiert. Ja, es fügt sich alles halbwegs logisch zusammen, aber es hat mich weder überrascht noch zufriedengestellt, denn ich dachte die ganze Zeit: "Das hätte er auch anders machen können, aber dann hätte es die Geschichte natürlich nicht gegeben". Das einzige, was mir an der Auflösung gefallen hat, ist der allerletzte Satz. Der hat mir tatsächlich so etwas wie einen Schauer über den Rücken gejagt. Aber das war auch das einzige Mal bei dieser Geschichte.

Kurzum: Die Verlassene hat mich thematisch stark angesprochen, der Plot ist aber leider sehr handlungsarm, die Protagonistin unsympathisch und verhält sich - wie ich finde - unrealistisch oft unvernünftig und die Auflösung empfand ich auch nur als okay. Es war leider - mal wieder - ein eher langweiliger sogenannter Psychothriller, bei dem ich viele Seiten nur quer gelesen habe, um schneller zu einer letztendlich unbefriedigenden Auflösung zu kommen.

(c) Books and Biscuit