Rezension

Leinen los! Eine mörderische Überfahrt mit der "Sultan of the Seas"

Passagier 23
von Sebastian Fitzek

Bewertet mit 4 Sternen

Als großer Fan und Bewunderer der "Marke" Sebastian Fitzek, habe ich dem neuen Psychothriller des Bestsellerautors schon lange vor Erscheinen entgegen gefiebert. Mit Sebastian Fitzeks Büchern verbinde ich schlaflose Nächte, Spannung ohne Ende, das unheimliche Kribbeln im Nacken, haarsträubende Storys, verrückte Ideen, die sich im ersten Moment absolut weit hergeholt anhören, im Fortgang der Geschichte aber immer realer werden sowie "einfach geschriebene" Pageturner, bei denen die Seiten nur so fliegen. Aber ich verbinde mit seinen Büchern auch immer wieder mein Problem mit einem noch abgedrehteren Ende, das mich meist nicht zu 100% glücklich machen kann, sondern - ganz im Gegenteil - den Kopf schütteln lässt. Gut, dass Sebastian Fitzek nach jedem Buch noch mit einer humorvollen & ausufernden Danksagung der Extraklasse aufwartet, so dass der Ärger über das Ende schnell vergessen ist. Was würde mich in seinem neuen Psychothriller erwarten?

Unser Protagonist heißt Martin Schwartz und scheint so abgebrüht wie sonst keiner. Von Anfang an merken wir, dass er, nach dem dramatischen Tod seiner Frau und seines kleinen Sohnes, als Mensch mit seinem Leben abgeschlossen hat. Er wirkt wie eine gefühllose Maschine, die weder Schmerz noch Angst spürt. So begibt er sich mit seiner Arbeit als verdeckter Ermittler immer wieder in Lebensgefahr, denn was hat er groß zu verlieren?

Erweiterter Suizid - der Name für eine Tat, die grausamer nicht sein kann und die, nicht zuletzt aufgrund eines aktuellen Tatorts in der ARD, immer häufiger Gesprächsthema in den Medien ist. Ein Elternteil bringt erst das eigene Kind und anschließend sich selbst um, das zweite Elternteil wird in vielen Fällen mit dem unvorstellbaren Schmerz zurückgelassen. Erweiterter Suizid - diese zwei Worte werden auch Martin Schwartz als Erklärung für den Tod seiner Familie gegeben, als diese nicht von einer Kreuzfahrt auf der "Sultan of the Seas" zurückkehrt. Tatsächlich scheint sich der Suizid auf einem Kreuzfahrtschiff - makaber gesprochen - einer großen Beliebtheit zu erfreuen. Man springt über Bord, verliert sein Leben im besten Fall schon beim harten Aufprall auf die Wasseroberfläche, gerät in den Sog der Schiffsschraube oder ertrinkt. Für eventuelle Rettungsmaßnahmen ist es meist zu spät. "Mann über Bord!" - für die Reedereien ist es ein Leichtes, das Verschwinden eines Passagiers mit der Erklärung "Suizid" abzustempeln. Ihr werdet lachen, tatsächlich verschwinden (un)regelmäßig Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen und tauchen nicht mehr auf. Doch was ist, wenn sie nicht über Bord gegangen sind? Die heutigen Meeresriesen haben die Größe einer Kleinstadt - Platz und Raum genug, um einen Menschen verschwinden zu lassen. Glaubt ihr nicht? Sebastian Fitzek hat sich diese Frage gestellt und einen Passagier 23 (Bezeichnung für solch einen vermissten Passagier) in seinem gleichnamigen Psychothriller wieder auftauchen lassen und zwar auf genau dem Schiff, auf dem Protagonist Martin Schwartz seine Familie verloren hat.

Martin hat sich geschworen, nie wieder ein Kreuzfahrtschiff zu betreten, schon gar nicht die "Sultan of the Seas", doch nach einem mysteriösen Anruf, der mit der Hoffnung wirbt, Licht ins Dunkle rund um das Verschwinden seiner Familie zu bringen, findet sich der Polizeipsychologe an Bord der "Sultan" wieder. Welch perfider Plan hinter all dem steckt, welche Rolle der kleine Passagier 23 spielt und ob Martins Familie tatsächlich noch lebt, das müsst ihr selbst herausfinden.

Mir hat der neue Fitzek zwar keine schlaflosen Nächte aber doch wieder sehr spannende Lesestunden beschert. Der Bestsellerautor versteht sein Handwerk sehr gut und weiß, wie er seine Leser an seine Geschichte fesseln kann. Gekonnt baut er Tempo und Spannung auf, knausert nicht mit Brutalität oder Grausamkeit und reißt uns beim Lesen mit in die Tiefe - in die Tiefe seines Kreuzfahrtriesen, in die Tiefe einer Verschwörung und in die Tiefe menschlicher Grausamkeit. Wer hier jedoch viel Tiefe in den Charakteren oder gar in der Geschichte sucht, wird nicht unbedingt fündig, doch brauche ich sie überhaupt in einem Thriller? Was möchte ich von einem (Psycho-)Thriller? Ich erwarte Spannung, ich erwarte (psychische) Gewalt, ich erwarte Angst, ich erwarte eine nachvollziehbare Handlung, ich erwarte Geschwindigkeit (Stichwort Pageturner), ich erwarte einen Lesesog und ich erwarte ein Finale Grande. - Was bekommen wir nun in Passagier 23? 
Spannung? CHECK
(Psychische) Gewalt? CHECK
ANGST? --- > nicht so richtig
Eine nachvollziehbare Handlung? CHECK
Tempo? CHECK
Lesesog? CHECK
Finale Grande? --- > eher mehrere kleine Finale
Zusätzlich und im Preis inklusive: eine neue, unverbrauchte und spektakuläre Idee, ein ungewöhnliches Setting, einen sehr verschrobenen und doch authentischen & in dem was er tut sehr leidenschaftlichen Protagonisten, mehrere kleine Geschichtchen & Schicksale (wie wir sie schon vom guten alten Traumschiff kennen), 3 ausgeprägte Gs (Gründe, Grausamkeiten und Gräueltaten), ein zusätzliches Ende, quasi ein Add-On (das meiner Meinung nach überflüssig ist), den ein oder anderen "Och nee, nicht das auch noch"- Moment und (nicht zu vergessen) eine sehr rührende Danksagung, bei der sich doch - in Gedenken an Peter Hetzel - ein kleines Tränchen aus meinem Augenwinkel gestohlen hat. 

Alles in allem hat mich "Passagier 23" sehr unterhalten. Ich denke, wir wissen was wir bekommen, wenn wir zu einem Fitzek greifen. Natürlich merkt man, wenn man ein genauer und nicht nur emotionaler Leser ist, dass die ein oder andere Auflösung und Begründung etwas unrealistisch oder weit hergeholt ist. Man merkt, dass Sebastian Fitzek immer noch einen drauf setzen möchte, indem er ein Kaninchen nach dem anderen aus seinem Zylinder zaubert. Ich kann verstehen, dass es geübten (Thriller-)Lesern zwei, drei oder sieben Kaninchen zu viel sind, dass sie lieber DAS EINE wahre Kaninchen intensiver begutachten würden und dass für sie die Geschichte, aufgrund der Kaninchenstall-Mentalität, an Glaubwürdigkeit verliert bzw. (um positiv zu sprechen) an Absurdität gewinnt.

Doch mir ist es gelungen, die Leinen loszulassen und mich mit der "Sultan" auf hoher See treiben zu lassen. Der Weg ist für mich das Ziel - auch hier hatte ich zwar erneut Probleme mit dem Ende, doch all die Seiten davor waren lesenswert! Ich bereue es nicht, ein Ticket für die Überfahrt gelöst zu haben, für mich hat sich die mörderische Reise auf der "Sultan of the Seas" gelohnt.

Kommentare

Leila99 kommentierte am 05. Dezember 2014 um 17:48

WOW - deine Rezension ist echt toll! Die beste zu diesem die ich bisher gelesen habe - und ich habe schon eine ganze Menge gelesen, um herauszufinden, ob das Buch für mich geeignet ist. Denn ich grusel mich zwar gerne, aber ich mag es nicht, wenn Bücher so brutal sind - außerdem bin ich erst 15 und meine Eltern konfiszieren öfters mal Bücher, die sie für noch nicht meinem Alter entsprechend halten....wie siehst du das? - wird Gewalt in diesem Buch sehr stark offen dargestellt?