Rezension

Lesehighlight 2015: Ein Psychothriller vom Feinsten

Die Falle - Melanie Raabe

Die Falle
von Melanie Raabe

352 Seiten. Nachwort. Letztes Wort. Ende. Wow. Melanie Raabe ließ mich gerade völlig verblüfft und absolut beeindruckt in meinem Lesesessel zurück, nach 352 gelesenen Seiten, zahlreichen Minuten des Herzklopfens und dem Wunsch, in den Buchrücken zu beißen. Vor einer halben Stunde habe ich ihr Debüt »Die Falle«, das Anfang März beim Randomhouse-Imprint btb Verlag erschienen ist, beendet und bin völlig geflashed. Warum? Na, lest selbst.

Donnerlüttchen, dieses Buch hat gesessen. Was für ein überraschendes! atemberaubendes! fieses! Stück! Literatur! Das ist der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, nachdem ich den Thriller eben beendet habe. Der Plot hat mich regelrecht hin- und hergezerrt, an einer Stelle Knoten gelöst, um an einer anderen wieder für völlige Verwirrung zu sorgen. Doch fangen wir mit dem äußeren Eindruck an. Das Cover greift die Gedankenwelt Lindas auf, so jedenfalls verstehe ich dieses schwarze-türkise Titelbild. Müsste ich jetzt interpretieren, was das darstellen soll, würde ich am ehesten darauf tippen, dass es die Schwärze widerspiegelt, die sich in elf Jahren Einsamkeit durch jede Faser von Linda Conrads Körper gefressen hat.

Vorsichtiges Herantasten.

So subtil das Titelbild wirkt, so famos ist Melanie Raabes Debüt zwischen den schmückenden Buchdeckeln. Die junge Journalistin hat mit ihrem Psychokrimi für ordentlich Furore auf dem Buchmarkt gesorgt. Bereits vor Erscheinen wurde der Titel in mehrere Länder verkauft, im englischsprachigen Ausland für einen sechsstelligen Betrag, wie Randomhouse verlauten ließ. Ein Hype ist für mich im ersten Moment erst einmal ein Grund, Abstand zu nehmen. Ich bin schon öfter auf gehypte Bücher angesprungen, die sich hinterher als laues Lüftchen entpuppt haben.

“Diese Villa ist meine Welt. Das Kaminzimmer ist mein Asien, die Bibliothek mein Europa, die Küche mein Afrika. Nordamerika liegt in meinem Arbeitszimmer. Mein Schlafzimmer ist Südamerika und Australien und Ozeanien liegen auf meiner Terrasse. Nur ein paar Schritte entfernt, aber vollkommen unerreichbar.” – Seite 6

Mittlerweile habe ich eine gewisse Zahl von Bloggerkollegen und -freunden, deren Meinung ich beinahe blind vertraue. Als sich die positiven, gerade zu überschwänglichen Rezensionen ins Netz ergossen, wurde ich neugierig, zögerte aber noch, da es sich um einen Thriller handelte. Thriller und ich, das ist so eine Geschichte. Vor ein paar Jahren hatte ich kein Problem mit blutiger Spannungsliteratur à la Fitzek & Co. Das hat sich erheblich geändert, ich bin sehr empfindlich geworden, kann Blutiges und Brutales überhaupt nicht mehr ertragen. Aus diesem Grund habe ich mich dann auch mehrmals erkundigt, ob ich mich an den Titel wagen könnte. Nachdem grünes Licht kam, gab es kein Halten mehr – das also als kleinen Hinweis an die Leser unter euch, die ebenso zarte Lesepflänzchen wie ich sind.

Dieses. Buch. macht. mich. fertig!

Ich wurde nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil. Melanie Raabe hat mich mit ihrer absolut einzigartigen, wunderbaren Sprache wortwörtlich in die literarische Falle gelockt und bis zur letzten Seite nicht mehr losgelassen. Sie hat mich um den Finger gewickelt, scheinbar an der Hand genommen, um mich mit sich zu ziehen, mich im nächsten Augenblick jedoch mit verschwörerischem Blick zu fixieren, als ob sie mir sagen wollte: “Na? Bist du dir ganz sicher, dass alles so geschehen ist?“

Mehr als einmal saß ich im Lesesessel und gab wohl eine höchst interessante, bibliophile Geräuschkulisse und Mimik zum Besten, die offensichtlich für reichlich Schmunzeln im Hause Büchernische sorgte. Mal knurrte ich leise vor mich hin, um im nächsten Augenblick die Augen aufzureißen, die Hand auf den Mund zu schlagen und – ich schwöre, ich war kurz davor – um ein Haar in den Buchrücken zu beißen. Frau Raabe weiß, wie man dem Leser erst ein paar kleine Häppchen hinwirft, um ihn auf eine falsche Fährte zu locken und dann doch im letzten Moment einen Haken schlägt.

Tiefgründige Charakterzeichnung

Dabei bedient sie sich einem unglaublich bildhaften Sprachduktus. Mittels zahlreich wiederholter Wortfolgen, lediglich durch Kommata abgetrennt, spiegelt sie in einer stakkato-artigen Schreibe die verzweifelte Hektik und Panik der Protagonistin wieder. Melanie Raabe weiß zu formulieren, mit Wortkonstruktionen zu spielen und dabei den Leser mit subtilen Andeutungen unweigerlich zwischen die Seiten zu ziehen. Immer tiefer und tiefer tauchte ich in die Psyche Linda Conrads ein, ließ ihre blitzartig aufleuchtenden Gedankenfetzen auf mich wirken und ertappte mich oft genug dabei, am Verstand der Protagonistin zu zweifeln. Melanie Raabe erschuf mit der Bestsellerautorin einen tiefgründigen, traumatisierten Charakter mit Ecken und Kanten, welche ein exzentrisch wirkendes Leben inmitten ihrer eigenen vier Wände führte und sich im Laufe der Handlung zunehmend als starke, mutige Persönlichkeit entpuppte.

“Meine Angst ist ein tiefer Brunnen, in den ich gefallen bin. Ich treibe senkrecht im Wasser, mit den Zehen taste ich nach dem Grund, aber da ist gar nichts, nur Schwärze.” – Seite 169

Als zusätzliches Highlight bettet Melanie Raabe in ihr insgesamt 35 Kapitel umfassendes Debüt ein Buch-im-Buch-Konzept ein. Dabei wechselt sie zwischen der in Ich-Perspektive geschilderten Geschichte Linda Conrads und dem aktuellem Thriller der Protagonistin – welche ja wie oben beschrieben Bestsellerautorin ist -, mit dem Titel ‘Blutsschwestern‘ hin und her. Um diese beiden Erzählstränge auch optisch besser voneinander unterscheiden zu können, wird für die eingebetteten Romanpassagen eine serifenlose Schriftart verwendet.

Es mangelte fürwahr nicht an geschickter Raffinesse und verblüffenden Überraschungsmomenten, die mich bis zu letzt an meiner Spürnase zweifeln und dieses ausgeklügelte Verwirrspiel in einem genussvollen, psychologischen Spannungsfeuerwerk explodieren ließen.

Mein Fazit: Melanie Raabe legt mit ihrem Erstlingswerk ein zum Zerreißen spannendes Psychodrama mit allerlei ausgeklügelten, erzählerischen Tricks vor, das mich erbarmungslos mit sich riss, mehrmals an den Rand des Wahnsinns trieb und mich das Buch letzten Endes hervorragend unterhalten zuklappen ließ. Dieser Thriller ist nicht einer unter vielen, sondern eine wahre Perle, ein Spannungsfeuerwerk voller überraschender Erzählfunken und knisternder Atmosphäre, das mir noch lange im Gedächtnis haften bleiben wird. Ich bin sehr gespannt, was wir von dieser vielversprechenden Autorin noch zu lesen bekommen werden, denn sie schreibt bereits an einem neuen Projekt. Bis es soweit ist, kann ich euch diesen Psychothriller nur ans Herz legen, selbst denjenigen unter euch, die diesem Genre eher weniger abgewinnen können.