Rezension

Lesenswert für Liebhaber asiatischer Autoren

Die chinesische Geliebte - Hong Ying

Die chinesische Geliebte
von Hong Ying

Bewertet mit 4 Sternen

„Ich hatte zwei Wünsche in meinem Leben: Ich wollte eine wunderschöne Geliebte und in den Kampf ziehen. Beides war mir vergönnt. Ich sterbe zufrieden.“

Julian – ein junger Dichter aus England – ist nach China gereist, um an der Wuhan-Universität als Professor englische Literatur zu unterrichten und sich eine chinesische Geliebte zu suchen. Er ist ein Lebemann, arrogant, selbstsüchtig und verwöhnt. Stets ist er auf der Suche nach einem neuen, erotischen Abenteuer. Seiner Sammelleidenschaft verleiht er Ausdruck, indem er jede Affäre mit einem Buchstaben des Alphabets betitelt. Für den Buchstaben „K“ hat er sich Lin auserkoren, die mit dem Dekan der Universität verheiratet ist. Lin ist kultiviert, beherrscht und sittsam – eine treue, fürsorgliche Ehefrau. Ihre erotischen und romantischen Träume und Wünsche verbirgt sie hinter dieser Fassade. Aus den anfänglichen Gesprächen über Literatur und Kunst entsteht schnell eine Freundschaft zwischen den beiden, schließlich eine intensive Liebesbeziehung. Die kulturell so unterschiedlich geprägten Charaktere führen dabei immer wieder zu Konflikten zwischen ihnen. Bald jedoch steht für Julian fest: „K“ soll seine letzte Eroberung sein.

In den 1980er Jahren kursierte in China vermehrt das Gerücht über eine Affäre eines englischen Dichters, der in den 1930er Jahren an der Wuhan-Universität unterrichtet haben soll. Julian Bell, englischer Dichter und Neffe der berühmten Autorin Virginia Woolfs, hielt sich zu eben jener Zeit in China auf. 1994 werden in London die originalen Briefe Julians veröffentlicht, in denen er über seine Zeit in China berichtet. „K“ findet hier immer wieder Erwähnung. Hong Ying griff diese beiden Geschichten auf und verband sie zu einem wunderschönen Roman über die (sexuelle) Selbstbestimmung der Frau im sonst so konservativen China der 1930er Jahre.

Kurz nach Veröffentlichung des Buches, sah sich Hong Ying einer Klage wegen Ahnenverleumdung gegenüber. Die Tochter der chinesischen Schriftstellerin Ling Shuhua will ihre Mutter – der ebenfalls eine Affäre mit Julian Bell nachgesagt wird - in der Figur der Lin wiedererkannt haben. Mehrfach beteuerte die Autorin, keine Biografie, sondern einen Roman geschrieben zu haben, auch wenn es für die Protagonisten reale Vorbilder gibt. Mehrere Berufungsverfahren scheiterten, sodass der Roman schließlich aus den Buchläden verschwand und verboten wurde. Die damit verbundene Medienaufmerksamkeit trug vermutlich erst zum Erfolg des Buches in Europa bei.

Es dauert seine Zeit, bis man mit dem recht eigensinnigen, unreifen Hauptakteuer warm wird. Entgegen des häufigen Vorwurfes, sind die gelegentlichen erotischen Szenen weder pornografisch, noch obszön. Der Schreibstil ist einfach gehalten, dafür aber sehr bildreich und keineswegs anspruchslos. Es lohnt sich einmal einen Blick in das Buch zu werfen. Es wird einen nicht so schnell los lassen. Eine klare Leseempfehlung allein wegen der interessanten Hintergrundgeschichte, nicht zuletzt aber für Fans asiatischer Literatur und von Hong Ying.