Rezension

Liebe und Schuld

Zertrennlich - Saskia Sarginson

Zertrennlich
von Saskia Sarginson

Bewertet mit 4.5 Sternen

Um Liebe und Schuldgefühle und wie sie untrennbar miteinander verbunden sind – so wie eineiige Zwillinge – geht es in diesem Buch. Es gibt wenig "richtige" Handlung. Der Leser muss sich aus den Erinnerungen der Zwillinge Isolte und Viola selbst eine Vorstellung davon machen, was in der Kindheit der Zwillinge passiert ist und warum es ihr Leben mit Mitte Zwanzig immer noch so sehr beeinflusst und sie sich nicht davon lösen können.

London 1987: Isolte arbeitet bei einer Modezeitschrift, hat sich vor kurzem eine schöne Wohnung gekauft und ist mit dem gutaussehenden Fotografen Ben zusammen. Ein perfektes Leben denken alle, die sie kennen. Doch in Wirklichkeit ist sie von Schuldgefühlen zerfressen, was auch dazu führt, dass sie sich Ben nicht ganz öffnen kann. Sie kann diese Schuldgefühle aber besser verstecken als ihre Zwillingsschwester Viola, die zum wiederholten Mal wegen ihrer Magersucht im Krankenhaus liegt, weil sie die Vergangenheit einfach nicht bewältigen kann.

Ausgehend von ihren jeweiligen Situationen 1987 erinnern sich Isolte und Viola an ihre Kindheit in Suffolk, die 1972 damit endete, dass ihre Mutter Selbstmord beging und die beiden zu ihrer Tante nach London kamen. In Suffolk sind die Mädchen immer mit einem befreundeten männlichen Zwillingspaar durch die Wälder gestreift, wo sie nicht nur Schönes erlebt haben und wo am Ende das Unaussprechliche geschah, was aus Isolte und Viola das gemacht hat, was sie im Jahr 1987 sind.

Das Buch ist nicht einfach zu lesen – am Anfang habe ich überlegt, ob ich überhaupt weiterlesen möchte – aber dann hat mich die Atmosphäre in ihren Bann gezogen. Die Perspektive wechselt ständig von Isolte zu Viola, von der Gegenwart in die Vergangenheit, ohne dass das zum Beispiel in einer Überschrift angegeben wird. In den ersten Sätzen jedes neuen Absatzes muss der Leser sich reinfinden. Viele Begebenheiten werden mehrmals aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was die Handlung oft schwerfällig macht, dem Leser die Charaktere aber näherbringt. Am Ende bleiben auch viele Fragen offen, die man als Leser gerne beantwortet hätte.

"Zertrennlich" lebt weniger von der Handlung, die oft kaum erkennbar ist, als von den Charakteren und ihren komplizierten Gefühlsleben. Von Anfang an geht es um lieben und geliebt werden und um Konkurrenzkampf in der Liebe, sei es Mutterliebe, Geschwisterliebe oder partnerschaftliche Liebe, und um die Auswirkungen, die diese Gefühle auf die Menschen haben und wie sie Menschen verändern können. Hierbei ist natürlich besonders interessant, wie unterschiedlich Isolte und Viola sich entwickeln, obwohl sie eineiige Zwillinge sind. Die Autorin hat selbst Zwillingstöchter und sagt im Nachwort, dass ihre Töchter ihr "den ultimativen Einblick in das komplizierte Leben eineiiger Zwillinge gewährt" haben.

"Zertrennlich" ist ein Buch mit viel düsterer Atmosphäre, die den Leser nicht loslässt, und mit viel Tiefe bei den Charakteren, die mich auch nach Beendigung des Buches weiter beschäftigen.