Rezension

Lieblingsbuch

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
von Carol Rifka Brunt

Wow, was für ein Buch! Einfach nur wow. Carol Rifka Brunt hat mit "Sag den Wölfen, ich bin daheim" ein so dichtes und gefülltes Werk geschrieben, dass es ziemlich schnell hätte schief gehen können. Zu viele Autoren wollten schon zu viele Themen in ihre Bücher quetschen. Selten endete das gut. Brunt hat in ihrem Debut das geschafft, woran viele gestandene Autoren gescheitert sind. Und das mit einer Leichtigkeit, als wäre sie bereits in den Rang eines modernen Klassikers aufgestiegen.

Ich bin derart begeistert von diesem Buch, dass ich kaum weiss, wo ich anfangen soll. Das Cover war es auf jeden Fall nicht, was mich dazu veranlasste, diesen Titel zu lesen. Normalerweise mache ich um Blumencover einen riesigen Bogen. Doch das Thema AIDS in den 80ern - da wurde meine Neugierde geweckt. Unterdessen ist es von ärztlicher Seite bestätigt, dass AIDS kein Todesurteil mehr bedeutet, wenn man sich an die Medikamentierung hält. Aber damals, vor 30 Jahren, als man noch praktisch nichts über das Virus wusste, war es anders. Ganz anders.

Von diesem Punkt aus strick Brunt eine Geschichte, die sich so oder in der Art auch in der Realität hätte zugetragen haben können. Während des Lesens fragte ich mich öfters, wie viel davon autobiographisch ist.

Es kommt sehr viel zusammen in diesem Buch. Man hätte darüber reden können und alles wäre einfach gewesen - aber so funktioniert das eben nicht im echten Leben. Wie oft wollte ich am liebsten in die Geschichte reinklettern und entweder June in den Arm nehmen oder irgendjemandem mal deutlich die Meinung sagen. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass ich June machen lassen musste, dass sie ihren Weg finden und daran wachsen wird.

Ich bin normalerweise auch keine Leserin von emotionalen Texten, die viel Gefühl aufwirblen. Aber obwohl es sehr viele gefühlvolle Momente gibt und es überhaupt ein Buch ist, das auf Gefühlen und Emotionen aufbaut, hatte ich nie dieses eklige Zuckerwatten-Gefühl. Brunt erzählt ihre Geschichte ohne dem Leser etwas aufzuzwingen. June macht eine grosse Entwicklung durch, aber die Autorin erwartet nicht, dass der Leser diese ebenfalls durchmacht. Wir sind Beobachter, doch aufgrund des Schreibstils der Autorin dennoch mitten dabei.

Die Figuren, denen wir hier begegnen, sind so glaubhaft, so real, dass ich sie am liebsten ebenfalls gekannt hätte. Dazu passt auch das oben geschilderte Verlangen, selbst in die Geschichte eingreifen zu können. June ist ein Mädchen, in dem ich mich oft selbst wiedererkannte, deshalb war wohl auch meine Freude umso grösser, als sich mehr und mehr ihre Entwicklung, ihre innere Stärke abzeichnet.

Eigentlich könnte ich noch lange und breit über "Sag den Wölfen, ich bin daheim" berichten, aber wenn ich ehrlich sein darf, fehlen mir dazu schlicht und einfach die Worte. Es ist ein Buch, das ich hauptsächlich gespürt habe; es fällt mir extrem schwer, dazu eine Rezension zu schreiben. Die ganze Geschichte ist noch da, ganz tief in meinem Herzen und da wird sie wohl noch lange, lange bleiben.