Rezension

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Maggie im Wunderland

Tintenblut - Cornelia Funke

Tintenblut
von Cornelia Funke

Highland-Saga, Herr der Ringe, Herr der Carringe, Alice im Wunderland, Narnia - die Reise in magische Fantasiewelten hat Hochkonjunktur.

Mit Alice im Wunderland , den Narnia-Büchern und Peter Pan ging es los: Menschen verlassen ihre vertraute Umgebung und tauchen ein in eine kunterbunte Fantasiewelt. Tintenblut/Tintentod (zusammen eigentlich ein Buch) machen da weiter, wo ihre berühmten Vorbilder aufhörten und sind inzwischen selbst Vorbild, z.B. für die Herr-der-Ringe-Hommage Der Herr der Carringe, von der ich mich zur Zeit gerade fesseln lasse und die auch deutliche Anleihen bei Cornelia Funke macht. Nun aber zu Meggie, die es nach Tintenherz erneut mit den bösen Gestalten aus der Tintenwelt zu tun bekommt. Sie wird sogar in einen Herr-der-Ringe-gleichen Machtkampf zwischen guten und bösen Mächten hineingezogen: Staubfinger, der Feuermagier, den Mo in Tintenherz, in seine, in unsere Welt gelesen hatte, ist zurück in der Welt, in der ihm der Tod droht. Die Kinder Meggie und Farid sind ihm gefolgt, sie aus Neugier, er aus Sehnsucht nach Staubfinger, seinem Ersatzvater. Ganz unfreiwillig sind schließlich auch Meggies Eltern Mo (das ist übrigens nicht nur die Kurzform von Mortimer, sondern auch das chinesische Wort für Tinte) und Resa in die Welt von Tintenherz gelangt: Mortola, die gruselige Mutter des in Tintenherz zur Strecke gebrachten Superbösewichts Capricorn, und dessen rechte Hand Basta haben mit ihm noch eine Rechnung offen, die sie auch prompt begleichen: Mortola tötet Mo - oder doch fast. Im einzigen Erzählstrang, der in der wirklichen Welt spielt, wird Meggies Tante Elinor von Orpheus, der ebenfalls über die Gabe verfügt, Menschen in Bücher hineinzulesen, und sich von Mortola und Basta für deren Zwecke hat einspannen lassen, in ihrem eigenen Haus gefangen gehalten. Und dann wäre da noch Fenoglio, der Schöpfer des Universums von Tintenherz, der im Schatten der von ihm erfundenen Festung Ombra zur Untermiete wohnt und sich wundert über die Aufmüpfigkeit der von ihm geschaffenen Figuren, was ihn aber nicht daran hindert, sich als Dichterfürst zu etablieren. Verwirrung schafft Fenoglio überdies dadurch, dass er den eigentlich bereits toten Kronprinzen Cosimo, Sohn des im ersten Romandrittel das Zeitliche segnenden Speckfürsten, wieder zum Leben erweckt. Darf man das, auf diese Weise Gott spielen? Cosimo, der nicht ganz derselbe zu sein scheint, greift auch prompt offensiv in den schwelenden Konflikt mit dem finsteren Natternkopf ein - und scheitert kolossal. Der nur durch die esoterischen Künste einer Heilerin am Leben erhaltene Mo und seine Frau Resa geraten als Gefangene mitten zwischen die Fronten dieses Konflikts der verfeindeten Fürstenhöfe und werden als Teil einer Gruppe von Spielleuten und Freischärlern von Truppen des Natternkopfes, des Herrn der Nachtburg, dem auch Mortola und Basta zu Diensten sind, festgenommen.
Da alles, was Fenoglio schreibt, in seiner Welt Wirklichkeit wird (wenn auch zuweilen auf unverhoffte Weise), kommt ihm, wie schon in Band 1 der Trilogie, im finalen Machtkampf zwischen dem Lager der Freischärler und den Truppen des grausamen Natternkopfes eine zentrale Rolle zu. Eine zentrale Rolle spielt auch Staubfinger, der die nötigen Verbindungen hat, um Meggie und Farid weiterzuhelfen. Durch eine Nachricht von Resa, die lange in der Tintenwelt gelebt hat, erfährt er von Mos schwerer Verletzung und nimmt später gemeinsam mit Meggie und Farid die Spur der verschleppten Eltern auf. Doch ehe Meggie schließlich die von Fenoglio geschriebenen und auf Umwegen in ihre Hand gelangten Verse lesen kann, durch die dieser Kampf zugunsten der Guten entschieden werden soll, wird sie von Truppen des Natternkopfes festgenommen. Der Satz bleibt unvollendet. Im Verlies des Natternkopfes trifft sie auf Mo, der, inzwischen wieder zu Kräften gelangt, für den Natternkopf ein Buch herstellen soll, das den finsteren Herrscher der Nachtburg unsterblich machen wird. Im Gegenzug wird ihm und seiner Familie ungeachtet des Protestes von Mortola freier Abzug zugesichert. Als der Natternkopf gegen diese Abmachung verstößt, kommt es zu einer Entscheidungsschlacht zwischen seinen und den durch Staubfinger und Farid verstärkten Widerstandstruppen - einer Schlacht, an deren Ende beide Seiten einen schmerzhaften Verlust zu beklagen haben werden. Doch die Tintenwelt wäre nicht die Tintenwelt, wenn sich nicht noch ein Ausweg böte, der freilich ebenfalls nicht schmerzfrei sein wird. Das Ende ist wesentlich offener als noch im ersten Teil der Buchreihe. Von Anfang an waren dieser Band und der Folgeband Tintentod offenbar als Einheit konzipiert.

Wie schon bei der Lektüre von Tintenherz habe ich auch diesmal den Eindruck, dass Cornelia Funke Mühe hat, eine Geschichte Fahrt aufnehmen zu lassen. Allerdings trifft das auch auf Herr der Ringe zu, wo man ebenfalls einen langen Atem benötigt. (In "Harry Potter" und im "Herrn der Carringe" geht es dagegen, wie es der moderne, vom schnellen Internet-Konsum geprägte Leser gewohnt ist, Schlag auf Schlag.) Andere Rezensenten haben es bereits angemerkt: Die ersten 200 Seiten des Romans sind im Grunde nichts anderes als eine weitschweifige Exposition, in der der Leser Meggie, Farid, Staubfinger, Mo, Resa, Mortola und Basta auf ihrem Weg in und durch das Reich von Tintenherz folgt, und auch die aus dem ersten Band noch nicht bekannten Figuren benötigen natürlich Raum, um klare Konturen zu bekommen. Da es davon eine ganze Menge gibt, Staubfingers Familie, Cosimos hässliche Frau, Spielleute und Feuerkünstler, der Schwarze Prinz und sein Bär, ein sprechendes Glasmännchen, weitere Unholde aus der Domäne des Natternkopfes, ist es nicht überraschend, dass dieser Roman 700 Seiten benötigt, um sie und ihre Schicksale alle unter einen Hut zu bringen. Der Natur der Sache gemäß findet man aber auch hier und da lose Enden und offen gebliebene Fässer. Manches ist auch schlicht und ergreifend überflüssig. Dazu zähle ich auch die Romanze zwischen Meggie und Farid, die auf mich irgendwie so wirkt, als hätte ein Lektor zur Autorin gesagt: "Kannst du da nicht noch bisschen Romantik für unsere pubertierenden Leser reinbringen?"

Wer dieses Buch kauft, sollte Band 3 der Reihe gleich dazu kaufen.