Rezension

Magische Abenteuergeschichte - nicht nur für Zehnjährige

Stella Montgomery und die bedauerliche Verwandlung des Mr Filbert - Judith Rossell

Stella Montgomery und die bedauerliche Verwandlung des Mr Filbert
von Judith Rossell

Bewertet mit 5 Sternen

Stella Montgomery lebt zur Zeit der Hochräder, Gaslampen und Korsetts mit ihren drei Tanten im Hotel Majestic in Withering-by-Sea. Die Damen Ernesta, Augusta und Regula wohnen als Dauergäste im Hotel, um sich in der Bäderabteilung zu aalen und das Mineralwasser aus der Hotelquelle zu trinken. Die Tanten sind eine ziemliche Last in Stellas Leben, am liebsten hätte sie, wenn die drei einfach von einem Python verschlungen würden. Von einer der Tanten wird Stella in „Französische Konversation für junge Damen“ unterrichtet. Wichtigste Erziehungsziele für ein Mädchen sind „Mach keinen Katzenbuckel“ (im Kampf gegen den Buckel schreiten Mädchen regelmäßig mit einem dicken Buch auf dem Kopf herum) und „Neugier ist ein vulgäres Laster“. Ihre Neugier befriedigt Stella mit einem Bildatlas, den sie aus dem Müll gerettet hat und den sie wie einen Gefährten ständig dabei hat. Im Wintergarten des Hotels beobachtet Stella, wie ein Gast ein kleines Päckchen in einem Blumentopf versteckt. Kurze Zeit später ist Mr Filbert, ein Kavalier der alten Schule, tot und im Hotel geht es drunter und drüber. Stella flüchtet mit dem kleinen verkorkten Fläschchen, in dem sich etwas Silbriges zu bewegen scheint, vor dem „Professor“ und seinen Spießgesellen. Erst der Junge Ben öffnet Stella die Augen, welch magische Dinge im Hotel vorgefallen sind und über welch ungewöhnliche Kräfte sie selbst verfügt. Mit tatkräftiger Hilfe durch Ben und das junge Ballettmädchen Gerti nimmt Stella den Kampf gegen den Mann auf, der auf dem Pier von Withering-by-Sea als Magier auftritt. In dem Durcheinander im Hotel ist Stella ein Bild in die Hände gefallen, das ihre Mutter Clare (die vierte der Schwestern) mit zwei kleinen Kindern zeigt. Falls Stellas Abenteuer um das magische Fläschchen gut ausgehen sollte, bliebe für sie die Frage zu klären, wer das zweite Kind auf dem Foto sein könnte.

Für ein Mädchen, das ein Korsett, mehrere Unterröcke, vermutlich einen knöchellangen Rock und darüber noch eine Schürze tragen muss, stürzt sich Stella erstaunlich entschlossen in ihre Flucht mit dem magischen Fläschchen. Durch die atmosphärischen Illustrationen des Buches erfahren die Leser auf einer weiteren Ebene, was wir uns unter einem Vergnügungs-Pier vorzustellen haben oder wie im Hotel Majestic die Gäste höchst fortschrittlich mitsamt dem heilenden Meerwasser in ihrer Badewanne geschaukelt wurden. Als erwachsene Leserin interessiert mich in Romanen stets, wie in anderen Zeiten die Dinge funktionierten und wie die Menschen lebten und arbeiteten. Die liebevoll gezeichneten Details liefern meiner Neugier hier üppiges Futter. Dass eine Seeschlange auf einer Buchseite nur in winzigen Abschnitten gezeigt werden kann, scheint mir ziemlich logisch; für eine Ganzkörper-Ansicht wird sie schlicht zu groß sein!

Auch wenn Stellas Gefühlsleben hinter vordergründiger Aktion etwas zu kurz kommt, spricht der erste von bisher drei Bänden seine Leser auf unterschiedlichsten Ebenen an. Von der tröstlichen Botschaft, dass auch Kinder wie Gerti geliebt werden, die mit ihrer Arbeit die Familie ernähren, über die Welt außerhalb des Horizonts der Tanten bis zu magischen Fähigkeiten, die Stella zunächst überrumpeln. Wie Stella sich listig der Erziehung zur feinen Dame entzieht, wie der Bildatlas ihr Wissen und Ermutigung vermittelt und wie sie gemeinsam mit treuen Gefährten agiert, das unterhält Leser aller Altersgruppen. Sei vorsichtig mit deinem Urteil, wenn du glaubst, die Guten und die Bösen zu kennen, könnte die Botschaft des Buches an seine zehnjährige Zielgruppe sein.

Band 2 ist bereits angekündigt: https://wasliestdu.de/judith-rossell/wormwood-mire