Rezension

Magische Internatsgeschichte für jüngere Mädchen

Emma, der Faun und das vergessene Buch - Mechthild Gläser

Emma, der Faun und das vergessene Buch
von Mechthild Gläser

Bewertet mit 4 Sternen

Während Emma und ihre Freundinnen eine verwaiste Bibliothek in dem altehrwürdigen Internat Schloss Stolzenburg entrümpeln, entdeckt Emma in einem Geheimfach ein seltsames, verstaubtes Buch, von dem sie annimmt, es handele sich um eine Art Chronik der Schule. Weit gefehlt! Als Emma selbst einige Zeilen hineinschreibt, stellt sie zu ihrem Erstaunen fest, dass alles, was einmal in dem Buch steht, wahr wird … jedenfalls so ungefähr, denn das Ding ist etwas unheimlich und folgt seinen eigenen, unberechenbaren Gesetzen. Trotzdem experimentiert Emma damit herum und nutzt es auch, um den arroganten Darcy de Winter, ein Ex-Schüler, der für einige Wochen das Internat besucht, zu einem kleinen Eingeständnis zu bewegen.

Von „Emma, der Faun und das vergessene Buch“ war ich anfangs - ehrlicherweise - enttäuscht. Die Geschichte beginnt zwar beschwingt mit viel heimeligem Internatsflair und der geheimnisvollen Entdeckung des magischen Buches, doch danach dauerte es etliche Kapitel, ja fast ein Drittel des Buches, bis für mein Empfinden wirklich Spannung aufkam. Mechthild Gläser bannt mit viel Detailliebe Internatsalltag auf die Seiten und setzt ihr Augenmerk auf die Einführung der wichtigsten Figuren. Diese Beschreibungen sind gekonnt formuliert und haben viel Charme, zumal die Autorin eine kleine Liebesgeschichte einbaut, die an Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ angelehnt ist. Doch für diesen sehr gemütlichen Einstieg war ich möglicherweise einfach zu ungeduldig, vielleicht auch zu weit von der anvisierten Zielgruppe entfernt, die dem nachgezeichneten Schulleben womöglich mehr abgewinnen kann.

Rückblickend bin ich froh, dass ich das Buch nicht zu schnell aufgegeben habe, denn obgleich ich bis zum Ende immer wieder Längen feststellen musste, entwickelte sich ein aufregendes Abenteuer - eine Mischung aus Märchen, Internatsgeschichte, Detektivroman und unschuldiger Romanze - das mich immer mehr gefangen nehmen konnte und auf diese Weise offen für viele schöne Komponenten werden ließ. Eine davon war Protagonistin Emma, ein selbstbewusstes, sympathisches Mädchen, das mich mit ihrer Ehrlichkeit und Schlagfertigkeit für sich einnehmen konnte. Eine zweite Stärke des Buches ist sein Humor, der mich oft zum Schmunzeln und Lachen brachte. Herzstück ist jedoch eine liebevoll erdachte magische Hintergrundgeschichte, die sich nach und nach vor dem Leser auffächert und zum Miträtseln einlädt, ein bisschen tragisch, sehr träumerisch und zunehmend spannend.

Als großer Fan von „Stolz und Vorurteil“ freute ich mich, etliche Handlungsstränge und Figuren des Originals so oder ähnlich, aber natürlich sehr viel undramatischer, pfiffiger und jugendlicher in der Geschichte wiederzufinden und ich staunte darüber, wie leicht sich der Klassiker in eine gänzlich andere Erzählung einfügte.

Einige Nebenfiguren, vor allem Emmas Freundinnen, hätte ich gerne noch mehr im Zentrum gesehen. Gleichzeitig habe ich positiv wahrgenommen, dass auf einige gängige Klischees des Genres angenehm verzichtet wurde. Statt Teeniedrama steht hier wirklich die Geschichte selbst im Vordergrund. Etwas irritiert hat mich das Alter der Protagonisten. „Emma, der Faun und das vergessene Buch“ wird ab 12 Jahren empfohlen und die Figuren agieren auf dieses Alter zugeschnitten, sollen aber 16 bzw. 20 Jahre alt sein. Das erschien mir nicht ganz glaubwürdig, aber ich habe dieses Wissen irgendwann einfach ausgeblendet und mich von Altersvorstellungen freigemacht, da sie für die Ereignisse eigentlich keine Rolle spielen.

Letztendlich konnte mich Mechthild Gläser trotz des nicht durchgehend konstanten Spannungsbogens mit ihrem märchenhaften Abenteuer sowie ihrer knuffigen „Pride-and-Prejudice“-Variante packen. Dazu beigetragen haben vor allem der erfrischende Tatendrang von Protagonistin Emma und die vielen schönen Ideen, die nach und nach zu einem stimmigen Ganzen zusammenlaufen und mich ganz in die muckelige Welt von Internat Schloss Stolzenburg eintauchen ließen. Vor allem jüngere Mädchen, die zwar gerne fantastische Geschichten lesen, den häufig darin enthaltenen dominanten Lovestories aber noch nichts abgewinnen können, werden sich in diesem Buch wohlfühlen - sofern sie geduldige Leserinnen sind.