Rezension

Man liebt oder hasst es

Der Insulaner - Henning Boëtius

Der Insulaner
von Henning Boetius

Bewertet mit 5 Sternen

Allgemeines:

Henning Boëtius hat ein faszinierendes Leben. Er hat Germanistik studiert, geriet dann aber in eine große Lebenskrise und hatte zeitweise sogar keinen festen Wohnsitz. Er wuchs auf Föhr und in Rendsburg auf und lebt heute in Berlin. Seine ersten Erfolge hatte er mit Veröffentlichungen beim Eichbornverlag. Außerdem übersetzt er Bücher aus dem Norwegischen.

Der Insulaner ist am 11.09.2017 als gebundenes Buch bei btb erschienen und umfasst 956 Seiten.

Inhalt:

„Der Insulaner“ ist das eindrückliche Porträt eines bewegten Lebens, einer fast schon versunkenen Zeit, einer ganzen Welt. Und nicht zuletzt: eine einzigartige Liebeserklärung an die Kunst und an das Meer.

Als der Schriftsteller B. sich wegen eines Tumors am Gehirn operieren lassen muss, fürchtet er seine Erinnerung für immer zu verlieren. Doch dann wird die Operation für ihn zu einem langen Gang durch die verschlungenen Pfade seines Lebens. […]“ (Quelle: Verlagsgruppe Random House)

Meine Meinung:

Das folgende Zitat zeigt sehr schön, was das Rahmenthema dieses Buches ist:

„Als B. aufwachte, schien die Sonne auf das herabgelassene Rouleau. […] Er hatte schlecht geschlafen, war mehrmals von einem regelmäßigen dumpfen Pochen geweckt worden, das an den Herzschlag eines Menschen erinnerte. Jetzt fragte er sich, ob es sein eigener Herzschlag gewesen war, ob er dies alles nur träumte, ob er immer noch in Wahrheit schlafen würde. Vielleicht war alles nur ausgedacht, sein ganzes Leben.“(Der Insulaner, S. 139)

Protagonist ist der Schriftsteller B., da fragt man sich natürlich sofort, ob nicht Boëtius selber gemeint ist. Legt er hier einen autobiografisch geprägten Roman vor? Mit ihren stattlichen 956 Seiten macht die Geschichte viel her und man nimmt sich als Leser ebenso viel vor…

Aufmerksam geworden bin ich auf Der Insulaner durch das Cover. Es hat mich an eine Landschaft in Skandinavien erinnert und ich wollte dieses Buch unbedingt lesen. Fast enttäuscht war ich dann, als ich feststellte, dass der Autor Deutscher ist. Aber die Enttäuschung hielt nicht lange an. Boëtius erzählt wirklich gut.

Der Insulaner ist in acht große Kapitel untergliedert, deren Überschriften Metaphern für die Lebensstationen des Schriftstellers B. darstellen. Das erste und letzte Kapitel bilden eine Art Rahmen: Sie umschreiben Start und Ziel von Bs. merkwürdiger Reise – denn merkwürdig ist sie, zumindest was die Orte betrifft, an denen er auf jemanden trifft, dem er sein Leben erzählt. Man reist mit B. an Orte, in denen die Gebäude zunächst normal, bei näherem Hinsehen aber abgetakelt und wie Ruinen wirken. B. spricht mit einem (vermutlich) imaginären Psychologen, der als Konstante bei all seinen Erinnerungen eine Rolle spielt. Die Erinnerungen wiederum werden realistisch und packend erzählt, die Zwischensequenzen reißen mich als Leser immer wieder aus der Geschichte und verunsichern mich: Ist das nun alles wahr, was B. erzählt und erinnert, oder halluziniert er? Man wabert mit ihm geradezu durch sein Hirn. Wie gut, dass es gegen diese Verunsicherung den Klappentext gibt. Er informiert den Leser darüber, dass B. sich einer Operation am Gehirn unterziehen muss und währen der Narkose sein Leben an ihm vorbeizieht. Vor diesem Hintergrund fällt es einem leichter, dem Erzählstrang zu folgen, ohne ihn wäre man über längere Zeit aufgeschmissen. Hier hat ein Klappentext, anders als in vielen anderen Büchern, eine wirklich sinnvolle Funktion.

Inhaltlich ist dieses Buch eine großartig erzählte Geschichte eines kleinen Jungen und seiner Liebe zum Meer und ganz nebenbei auch ein Stück Zeitgeschichte, die in den 1940er Jahren beginnt und in der Jetztzeit endet.

Fazit:

Boëtius‘ Roman gefällt mir sehr. Abgesehen von einigen wirren Formulierungen des operierenden Arztes im ersten Kapitel, die eigentlich in ihrer Skurrilität schon wieder witzig sind, habe ich Der Insulaner sehr gerne gelesen. Man braucht aber wirklich ein gutes Durchhaltevermögen. Und bei diesem Buch gilt: Man liebt oder hasst es. Dazwischen gibt es nichts.