Rezension

"Mein Leben war kurz und ohne große Bedeutung",...

Sein blutiges Projekt - Graeme Macrae Burnet

Sein blutiges Projekt
von Graeme Macrae Burnet

Bewertet mit 2 Sternen

...so beschreibt der erst 17-jährige dreifache Mörder Roderick Macrae seinen Werdegang. Der Fall des Roderick Macrae, der im August 1869 drei seiner Nachbarn in einem verschlafenen, schottischen Küstendorf brutal ermordet hat, ist ein realer Mordfall, keine fiktive Geschichte. Zumindest wird dem Leser zu Beginn dieser Eindruck vermittelt.

 

Gegliedert ist das Buch in neun Abschnitte, den Anfang macht ein "Vorwort" des Autors, in dem er kurz darauf eingeht, wie er auf Rodericks Geschichte gestoßen ist. Nach den "Aussagen der Einwohner von Culduie" (unter anderem je eine von Rodericks Lehrer und dem Pfarrer, zu dessen Kirchengemeinde der kleine Ort gehörte), bekommt der Leser mit einer "Karte von Culduie und Umgebung" einen Überblick, wo Roderick bis zu seiner Inhaftierung sein gesamtes Leben verbrachte.

 

Im Anschluss folgen "Die Aufzeichnungen von Roderick Macrae", in denen er seine Kindheit und Jugend, aber auch das harte Leben in den schottischen Highlands schildert. Mit 169 Seiten ist dies der längste Abschnitt im Buch, und auch derjenige, der mir am besten gefiel. Das Originaldokument hat der Autor in einem Archiv in Inverness entdeckt, und fand es so faszinierend, dass er sich dazu entschloss, ein Buch daraus zu machen. Im Vorwort versichert der Autor, dass er den Originaltext nicht bearbeitet oder verbessert hat, er hat lediglich den Text in Abschnitte unterteilt und zusätzliche Satzzeichen eingebaut, um die Lesbarkeit zu verbessern.

Im Vorwort erwähnt Graeme Macrae Burnet, dass es schon zur Zeit des Mordprozesses Zweifel an der Echtheit dieses Dokuments gab, die sich vor allem darauf begründeten, dass man einem einfachen Bauernjungen nicht zutraute, ein solches Dokument zu verfassen. Für mich ist es eigentlich nicht entscheidend, ob Roderick nun wirklich selbst geschrieben hat, oder ob beispielsweise sein Pflichtverteidiger seine Lebensgeschichte für die Nachwelt erhalten wollte - wobei ich es für unwahrscheinlich halte, dass Mr. Sinclair die Urheberschaft seines Mandanten vorgetäuscht hätte, denn wofür hätte das gut sein sollen?

So oder so sind diese "Aufzeichnungen des Roderick Macrae" ein historisches Zeitdokument (es ist ja zumindest unstrittig, dass die Aufzeichnungen aus dem Jahr 1869 stammen, und auch zu diesem Zeitpunkt bereits in Auszügen veröffentlicht wurden), das dem Leser einen außerordentlichen Einblick in diese Epoche und diese Region gewährt. Mehr als der gewaltsame Tod der drei Opfer des Roderick Macrae haben mich eigentlich die Bedingungen erschüttert, unter denen Rodericks Familie und der Rest des Dorfes lebten. Zu dem Zeitpunkt als dieses Dokument entstand, war der amerikanische Sezessionskrieg längst beendet und damit gab es zumindest in der neuen Welt keine Sklaverei mehr. Aber im schottischen Hochland stand die Feudalherrschaft noch in voller Blüte, und die Bauern in Culduie besaßen kein eigenes Land, und offensichtlich waren sie auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen der Obrigkeit und ihrer Vertreter ausgeliefert. Natürlich hätten sie theoretisch das Dorf verlassen können, doch wohin hätten sie gehen sollen?

 

Nachdem Rodericks Werdegang zu Ende erzählt ist, folgen unter "Medizinische Gutachten" die Obduktionsberichte der Mordopfer, "Auszug aus Reisen in das Grenzland des Wahnsinns - von J. Bruce Thomson", "Der Prozess", "Epilog" und "Dank".

Und spätestens ab hier wurde es für mich leider allzu schwammig, welche Elemente ich denn nun für bare Münze nehmen darf, und welche der Autor frei erfunden hat. Im Buch selbst erweckt Graeme Macrae Burnet mit einer kurzen einleitenden Notiz, dass "Reisen in das Grenzland des Wahnsinns" von Mr. Thomson verfasst und posthum veröffentlich wurde. Im Nachwort dagegen findet man diese Aussage: "...seine Persönlichkeit und sein Wesen sind ein Produkt meiner Fantasie, ebenso wie seine Lebenserinnerungen." (Seite 343).  Ich fühle mich als Leser leider verschaukelt, wenn mir erst vorgemacht wird, dass es diese Memoiren gäbe (inklusive Jahr der Veröffentlichungen) und ich dann 50 Seiten später den zitierten Nebensatz präsentiert bekomme.

 

Mich hat das leider am Ende des Buches so verunsichert, dass ich mir nun auch nicht mehr sicher bin, ob die Aussagen der Dorfbewohner und die Obduktionsberichte echt sind (das hatte ich davor ganz selbstverständlich angenommen, weil dieser Eindruck auch bewusst vermittelt wird). Die Schilderungen des Prozesses beruhen laut Angaben des Autors auf der damaligen Berichterstattung der lokalen Tageszeitungen, da stellt sich mir allerdings die Frage: Gibt es denn noch die Prozessakten? Falls ja, warum wurden sie dann nicht herangezogen und falls nein, woher kommen dann die angeblich zu Protokoll gegebenen Zeugenaussagen und die Obduktionsberichte?

 

Ich habe mir anhand der Leseprobe ein Buch erwartet, dass historische Fakten zu einem echten Mordfall schildert, und blieb am Ende zurück mit einem Teil den ich ernstnehmen kann (Die Aufzeichnungen des Roderick Macrae) und sieben Abschnitten, hinter denen nichts als ein großes Fragezeichen steht, was deren historischen Wahrheitsgehalt angeht.

Für mich ist das leider enttäuschend, da sind nicht mehr als zwei Sterne drin - und den zweiten gibt es auch nur für den wirklich lesenswerten Abschnitt, in dem Roderick Macrae (zumindest mutmaßlich) selbst zu Wort kommt.