Rezension

Meisterhaft erzählte Geschichte!

Alles Licht, das wir nicht sehen - Anthony Doerr

Alles Licht, das wir nicht sehen
von Anthony Doerr

Bewertet mit 5 Sternen

"Das Leben jedes Wesens ist ein schnell verlöschender Funke in einer unergründlichen Dunkelheit."
- Alles Licht, das wir nicht sehen (S.414)
 

So pessimistisch und deprimierend diese Aussage auch klingen mag, der Roman, welcher dieses Zitat enthält, eröffnet einen so schönen Teil im Leben, von dem man nicht wusste, dass er überhaupt existiert.

 

Im vom Krieg aufgebrausten Frankreich flieht die junge, blinde Marie-Laure mit ihrem Vater aus Paris an die Westküste Frankreichs, um dort Schutz zu suchen, während der unscheinbare, technisch begabte, deutsche Junge Werner in eine Einheit des Staates aufgenommen wird, die Feindsender aufspürt und ihn geradewegs auf das zu besetzende Frankreich laufen lässt. In einem folgenreichen Augenblick kreuzen sich ihre Wege.

Vom Inhalt möchte ich gar nicht viel verraten, weil dieser für mich nicht die oberste Priorität hat. Viel wichtiger ist der einmalige Schreibstil vom Autor Anthony Doerr. Kurze Sätze. Kurze Kapitel. Kurze Spannung? Falsch! Die Kürze der Kapitel ist zurecht gewöhnungsbedürftig, aber gerade weil er in der dichten Struktur eine umfassende Charakterdarstellung und zahlreiche Handlungswendungen unterbringt, bekommt er großen Respekt von mir. Nicht ein einziges Mal befindet man sich als Leser in einer Situation, die nicht vor Geheimnis, Dramatik oder Verblüffung sprüht. Er versteht sein Handwerk ausgezeichnet.

Dass ein Roman eine Vielzahl an Gefühlen bei mir hervorrufen kann, hätte ich niemals gedacht. Neben der liebevollen Gestaltung der Handlung der Geschichte, schafft Doerr es trotzdem, dass ich innerhalb von einem Dutzend Seiten von gebannter Spannung in völliges Entsetzen und dann in tiefe Traurigkeit springe. Es zeichnet sich durch eine hohe Variation an Emotionen aus, die es beim Leser hervorruft und die dazu führen, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte, sondern auf die erste Seite blättert und die gleiche Reise ein weiteres Mal bevorsteht.

Der Roman gibt einem so viel, dass man all das Gelernte und die neue Sicht auf das Leben sofort weiter verbreiten möchte. Es  mag manchmal nicht den Anschein haben, aber Anthony Doerrs Werk besitzt alles Licht, alle Hoffnung dieser Welt, die so viele Menschen tagtäglich suchen. Die Moral der Geschichte besteht im Wesentlichen darin, dass das Leben viel zu schnell vorbei ist. Vor allem in der Kriegszeit bangte das Volk, sei es französisch oder deutsch, jeden Augenblick um ihr Leben. Bomben, Explosionen, Gewehrschüsse, schreiende Menschen. Schreckliche Geräusche erfüllten die Straßen. Wir sollten uns vor Augen halten, dass das Leben nicht selbstverständlich ist und man für ein Dach über den Kopf, eine warme Mahlzeit und Trinkwasser dankbar sein sollte, denn jeder Moment kann der letzte sein (Hier gilt: „Lebe den Tag, als wäre er dein letzter“). Stattdessen herrschen in der Menschheit Diskriminierung, Hass, Gewalt und Terror.

 

Ein Aspekt, der mir persönlich sehr wichtig ist, ist das Ende eines Romans. Wenn mich der Schluss nicht verblüfft, oder zumindest zufriedenstellt, dann enttäuscht mich das eher als fortlaufende Schwächen im Hauptteil. Und wenn man von diesem Roman nicht schon genug fasziniert ist, so zeigt das Ende eine völlig neue Facette, die mir eine innerliche Ruhe gegeben hat. Obwohl es zum Ende kam (was mich meist traurig macht) war ich nach dem letzten Satz des Buches ein glücklicherer Mensch.

Fazit: Bist du ein Kerl mit harter Schale und noch härterem Kern? Oder doch eher eine „Kettenleserin“, die durch ein Buch nur so durchrauscht? Faszinieren dich mystische Gestalten in einer fiktiven Welt? EGAL! Dieser Roman kann und sollte von jedem gelesen werden. Er lehrt, dass alle Menschen im Grunde gleich behandelt werden sollten also greift nicht in eine Klischeekiste und stempelt „Alles Licht, das wir nicht sehen“ als kitschiges Kriegsdrama ab, sondern nehmt es in die Hand und taucht ein in diese Welt ein.