Rezension

Meisterhaft gemacht.

Nach Onkalo - Kerstin Preiwuß

Nach Onkalo
von Kerstin Preiwuß

Bewertet mit 5 Sternen

Nicht in jedem Roman sind Prinzen drin. In diesem wird nicht mal aus einem Frosch ein Prinz, ich wette. Keine einfache Lektüre, weil der Protagonist gerade dabei ist, in eine Depression zu rutschen und es nicht lustig ist, dass man als Leser mit muss.

Hans Matuschek ist ein einfacher Mensch mit einem einfachen Leben: er hat seine Tauben, er hat seine Mutter und er hat seine Arbeit als Wetterbeobachter auf dem Flugplatz. Es ist ein „kleines Leben“, aber Matuschek ist zufrieden, er hat durchaus auch ein Gespür für das Glück, das in den kleinen Dingen liegt: „Sein Glück steht so hoch wie die Mittagsonne und macht ihn ganz benommen.“

Als seine Mutter stirbt, für ihn höchst unerwartet, doch mag es Anzeichen gegeben haben, die er übersehen hat, scheint er den Verlust zunächst gut wegzustecken. Doch das täuscht. Allmählich greift die Depression nach ihm oder besser gesagt, gibt er ihr nach.

Es ist kein Vergnügen Matuschek dabei zuzusehen, wie er immer mehr und mehr in die Depression abgleitet, wie ihm erst das eine, dann das andere und schließlich alles, einschließlich seiner selbst und seines Körpers gleichgültig wird. Dabei sind wir, die Leser, immer in Matuscheks Kopf. Wir verstehen alles und obwohl wir kein Vergnügen empfinden, wie könnten wir, konstatieren wir, dass die Autorin Kerstin Preiwuß alles nachvollziehbar und in seiner Simplizität meisterhaft entwickelt. Vielleicht hätte sich ein weniger einfach strukturierter Mensch wie Matuschek mehr aufgelehnt, es darf jedoch bezweifelt werden, die Depression wäre nur anders verlaufen.

Das Lesen des Romans "Nach Onkalo" ist deprimierend und machmal empfindet man Ekel. Es tauchen noch andere Menschen auf, am Rande, die ebenfalls kein leichtes Schicksal leben. Aber was sollen sie machen? Das Leben ist kein Ponyhof. Die Protagonisten sind oft neben der Spur, doch wie sagt Matuschek: „Wo kämen denn alle hin, wenn für die Verrückten nicht auch Platz wäre?“

Liebe ist oft desillusionierend, Freundschaft auf die eine oder andere Art erfahrbar, außerdem lebensnotwendig, unverzichtbar, und ob man eine Therapie macht oder nicht, nach drei Jahren, sagt man, sei der Stand der einen sowie der anderen Gruppe genau derselbe. Es geht wieder, irgendwie, oder man ist tot. Matuschek macht keine Therapie.

„Nach Onkalo“ ist eine deprimierende Leseerfahrung, dennoch eine sehr eindrückliche Schilderung einer Depression ohne dass das Wort ein einziges Mal fällt! Die verwendete Sprache ist einfach, da auch Matuschek einfach ist, aber auch einfache Menschen reflektieren gelegentlich und die Studierten haben kein Monopol auf Weisheit: „In der Kindheit liegt alles begraben, was man heute nicht mehr bekommt“.

Fazit: Kerstin Preiwuß hat ihre Sache sehr gut gemacht. Die Lektüre ihres Romans „Nach Onkalo" ist nicht im üblichen Sinne ein Vergnügen, bringt dem Leser aber eine Grenzerfahrung so nah, dass er heftig durchschnaubt! 

Ich gebe eine Leseempfehlung für alle, die sich für Depressionen interessieren und sich dieser Schilderung gewachsen fühlen.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2017,
Verlag: Berlin Verlag, 2017

Kommentare

Buchliese kommentierte am 03. September 2017 um 15:32

Deine Rezi lässt mich fast schon zum Buch greifen. Letztes Jahr habe ich "Die Welt im Rücken" gelesen und konnte mich mit dem Roman überhaupt nicht anfreunden. Ich nehm gleich noch mal das Leseprobenheft 2017 zur Hand!

wandagreen kommentierte am 03. September 2017 um 19:01

Das ging mir auch so. Die larmoyante Art des Autors zusammen mit seiner Selbstüberhöhung nervte mich ganz fürchterlich und habe nach dem ersten Drittel den Roman abgebrochen. Dieses ist ganz anders. Herr Melle ist allerdings manisch-depressiv, das ist noch einmal etwas anders.

katzenminze kommentierte am 03. September 2017 um 17:14

Hört sich wirklich nicht übel an! Ich bin gespannt ob es auf der Shortlist landet. Da war doch letztes Jahr erst das Buch von Thomas Melle über seine Depression drauf soweit ich mich erinnere.

Schöne aufschlußreiche Rezi auf jeden Fall! :)

Steve Kaminski kommentierte am 03. September 2017 um 17:26

Ich hatte im Amazon mal ins Buch reingeguckt - in der Szene war seine Mutter gerade gestorben. Der Stil sprach mich an. - Deine Rezension vermittelt einen guten Eindruck, danke. Vielleicht lese ich es auch in näherer Zukunft - mal schau'n.

wandagreen kommentierte am 03. September 2017 um 18:59

Dann lass mich dich begleiten und Händchen halten, nicht, dass was Schlimmes mit Nika passiert;-).

Steve Kaminski kommentierte am 03. September 2017 um 19:10

Oh ja, danke für das Angebot! Vielleicht lese ich es aber auch Nika vor? Dann musst Du sie begleiten und ihr die Pfote halten - nicht dass mit mir was Schlimmes passiert!

sphere kommentierte am 03. September 2017 um 21:44

"sich dieser Schilderung gewachsen fühlen"

Wahre Worte!

Naibenak kommentierte am 04. September 2017 um 09:00

Großartige Rezi, liebe Wanda!!!!!!!!!!!! Klingt wirklich nach einem richtig guten Buch, das wohl aber momentan nichts für mich wäre, schätze ich ;) Vielleicht irgendwann, mal sehen... Danke dir!!! <3

LySch kommentierte am 04. September 2017 um 10:03

Mich macht die Rezi auch sehr neugierig! Wirklich schön geschrieben, Wanda! :) Das merk ich mir...