Rezension

Melancholische, sehr stark geschriebene Kurzgeschichten

Wir haben Raketen geangelt - Karen Köhler

Wir haben Raketen geangelt
von Karen Köhler

Bewertet mit 4 Sternen

In dem Buch finden sich neun Kurzgeschichten, die schwierige Themen wie Krankheit, Selbstmord, Tod, Verlust und Verlassensein darstellen. Sie haben keinerlei Zusammenhang untereinander, und auch der Typ ist sehr unterschiedlich: Mal eine Schilderung auf einzelnen Postkarten, mal Tagebucheinträge, oder "normale" Texte.

Ich habe das Buch bei einer Leserunde gewonnen und musste über meine Meinung eine Weile nachdenken, da die Geschichten einen doch irgendwie packen und nicht so schnell loslassen; man muss sich bewusst zurücklehnen und auf Distanz gehen, um sie zu betrachten und sich eine Meinung bilden zu können.

Den Schreibstil fand ich in den meisten Geschichten super. Die kurzen, abgehackten Sätze, und immer zwischendurch dann wieder extrem bildhafte Sprache haben eine ganz eigene Emotion mit reingebracht. Manch einem mag das eher kalt oder emotionslos erscheinen, aber auf mich haben die Geschichten dadurch einen tieferen Eindruck hinterlassen.

Diese schnörkellose Sprache passt zu den behandelten Themen. Es geht um Verlust, Tod, Krankheit, Verlassensein. Die ungeschönte Art über solch schwierige Themen zu schreiben ist immer kombiniert mit irgendeinem Funken, sei es Hoffnung, eine Erinnerung, oder eine Beschreibung der Natur, die dem Ganzen einen Hauch Melancholie zuteil werden lässt. Die Geschichten sind traurig, und hinterlassen den Leser trotzdem nicht verzweifelt.

Die Geschichten Name.Tier.Beruf, Wir haben Raketen geangelt und Findling haben mir nicht besonders gut gefallen. Das lag daran, dass ich mich nicht identifizieren konnte mit den Protagonisten, und hier überzeugte mich auch der Schreibstil nicht.

Dahingegen gefielen mir am besten Familienportraits und Polarkreis; auch Wild ist scheu und Il Comandante waren etwas ganz Besonderes. Cowboy und Indianer war meine erste gelesene Geschichte und blieb auch hängen.

Ich denke, bei so vielen unterschiedlichen Themengebieten, Protagonisten und Geschichtentypen (Postkarten- oder Tagebuchformat, Stichpunkte, Perspektive des "du") kann einem nicht alles gefallen. Ein Lob an die Autorin für ihre Vielseitigkeit und insbesondere ihre Beobachtungsgabe. Im Gegensatz zu manch anderer Rezension hier bin ich nicht der Meinung, dass unbedingt ein Roman folgen muss; ich finde, der Schreibstil kommt in kurzen, knallharten und doch tiefgründigen Geschichten besser rüber. Man wird eiskalt in das Leben der Protagonisten geschmissen, an einem Punkt, der einen Wendepunkt darstellen kann für diese Person. Und bevor man weiß, wie einem geschieht, passiert etwas Unerwartetes, manchmal plötzlich, manchmal schleichend, und schon ist die Geschichte zu Ende. Das käme bei einem längeren Text nicht rüber, ohne dass etwas von dem Schreibstil angepasst werden müsste. Ich würde aber gerne weitere Kurzgeschichtenbände lesen.

Insgesamt kann ich das Buch empfehlen für diejenigen, die gerne Kurzgeschichten mögen, und sich auch auf experimentelle Sprache einlassen können. Wer zu zart besaitet ist, dem rate ich eher ab, bzw. dazu, es mit dem Buch langsam angehen zu lassen, da die Geschichten zwar überhaupt nicht brutal sind, aber einem doch aufgrund der Thematik und der Stilmittel emotional sehr nahe gehen können.

Kommentare

yvy kommentierte am 13. September 2014 um 12:26

Schöne Rezi, die nicht zu viel verrät und trotzdem neugierig macht.
Ich war schon gespannt auf deine Meinung. Fazit: Das Buch bleibt auf meiner WL. ;)