Rezension

Menschliche Abgründe zum Dessert...

Angerichtet - Herman Koch

Angerichtet
von Herman Koch

Bewertet mit 4 Sternen

Das Ehepaar Paul und Claire wurde von Pauls snobistischem Politiker-Bruder Serge samt Gattin in ein Nobelrestaurant geladen. Dort wird nach anfänglichem Smalltalk ein schwerwiegendes Problem besprochen. Die beiden etwa 16jährigen Söhne Michel und Rick haben nämlich etwas ausgefressen. Etwas Schreckliches. Da aber bislang noch nichts davon an die Öffentlichkeit geraten ist, soll nun „in Familie“ diskutiert werden, wie mit dem Problem umzugehen ist (wohlgemerkt: die Söhne werden nicht befragt). Ob sie sich wohl einigen können?

Aus Pauls Sicht („Ich“-Perspektive), der aus Krankheitsgründen pensioniert ist,  erzählt Herman Koch zu Beginn noch äußerst witzig über den gemeinsamen Abend. Außerdem mit einem Hauch an Spannung, weil der Leser von Beginn an weiß, dass etwas vorgefallen sein muss. Natürlich wird erst nach und nach aufgedeckt, worum es geht. Sehr gut kann ich mich derweil in Paul hineinversetzen, der sich (gedanklich) über die gähnende Leere auf den Nobelrestaurant-Tellern und über die Penetranz der Angestellten echauffiert.  Dies ist wirklich amüsant beschrieben. Aber bereits jetzt kommt es zu kleinen Unbequemlichkeiten, als Serges Frau zu weinen beginnt. Während dieser Zeit im Restaurant begleiten wir Paul immer wieder in seine Gedankenwelt – in Erinnerungen an frühere Begebenheiten. Diese sind zumeist recht interessant, aufschlussreich und überraschend, aber zeitweise auch ein wenig lahm. Ich habe in der ersten Hälfte ein bisschen länger gebraucht, um in der Geschichte anzukommen.

Aber dann!!!! Weia… böse! Die zweite Hälfte habe ich in einem Stück verschlungen. Und ich muss sagen,  sie liegt mir noch schwer im Magen ;) Wie Herman Koch hier mit verschiedenen Moralvorstellungen jongliert und dadurch Sympathien und Antipathien durcheinanderwürfelt, ist wirklich krass. Und genial! Es ist für mich teils unerträglich gewesen – wegen der Dinge, die gesagt und gedacht werden, die getan oder eben nicht getan werden.  Es gibt überraschende Erkenntnisse und Wendungen. Stück für Stück kommen die wahren Charaktere zutage und lassen mich ein ums andere Mal erschaudern. Vielleicht trägt Koch hier und da ein bisschen dick auf am Ende, doch genauso funktioniert dieses Stück Gesellschaftssatire! Umrahmt wird alles von der Menü-Abfolge im Restaurant – vom schönen Schein…

Fazit: Nach einem prima Start wird der Roman etwas lahm, entwickelt sich aber ab der zweiten Hälfte zur Höchstform. Auf teils witzige, oft aber äußerst unbequeme und schonungslose Weise haut uns Herman Koch die Frage um die Ohren: wie weit würden wir gehen, um unsere Kinder zu schützen? Und uns selbst. Was ist richtig? Was könnte man nochmal durchgehen lassen? Und so weiter… Dieser Roman hat mich erschüttert und fasziniert zugleich! Und er hat mich stark ins Grübeln gebracht. Lesen!

Kommentare

wandagreen kommentierte am 16. Juni 2017 um 14:27

Also, das ist schon die zweite begeisterte Rezi von ernstzunehmenden Rezensentinnen. Hm, hm, ....

 

Naibenak kommentierte am 19. Juni 2017 um 09:26

Wenn Sursu auch angetan ist, dann könntest du es vielleicht wagen? *lach*