Rezension

Mit Hermann Hesse durch den Herbst

Herbst - Hermann Hesse

Herbst
von Hermann Hesse

Der deutsche Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse (1877-1962) hat nicht wenige Gedichte, Briefe und Romanauszüge über die Jahreszeit hinterlassen, die für Wandel, Abschied, Vergänglichkeit und Verfall steht.

Ulrike Anders hat Hesses im Suhrkamp Verlag erschienene „Sämtliche Werke“ durchforstet und mit „Herbst“ ein Kaleidoskop dessen erstellt, was den Schriftsteller am Nachsommer faszinierte. Da ist die Rede von langen Spaziergängen durch die Natur, von der Magie der Farben im Herbstwald, dem Duft des Weins, Kindheitserinnerungen an “Knabenstunden mit Schmetterlingsnetz und Botanisierbüchse” (S. 10f). Der beginnende Frost bringt eine Sehnsucht nach dem sonnigen Italien, aber auch ein Gefühl der „Ofenbehaglichkeit“ (S. 15) im Zimmer, dessen liebevolle Einrichtung den Sommer über unbeachtet geblieben war.

Wenn Hesse über das Werden und Vergehen in der Natur schreibt, ist seine Sprache auch in seiner Prosa fast lyrisch und spürt sensibel kleinsten Veränderungen nach. Ein Beispiel dafür ist die melancholische Beschreibung der welkenden Blüten auf der Terrasse des Autors, deren Anblick an Alter und Tod denken lässt: „Zusammengedrängt in ihren paar Töpfen und Kistchen stehen die Blumen, und mit dem Dunkelwerden des Laubes beginnen ihre Blütenfarben heftiger zu glühen, ein paar Minuten lang leuchten sie so tiefbrennend wie Glasfenster in einem Dom. Und dann erlöschen sie langsam, langsam und sterben den täglichen kleinen Tod, um sich auf den großen einmaligen vorzubereiten. Unmerklich entschwindet ihnen das Licht, unmerklich wird ihr Grün ins Schwarze verwandelt und ihre frohen Rot und Gelb sterben in gebrochenen Tönen zur Nacht hinüber.“ (S. 7).

Hesses Gedichte in diesem Band sind offensichtlich stark inspiriert von Eduard Mörike, dessen „September-Morgen“ er bewunderte. Für Hesse selbst ist die herbstliche Wirklichkeit allerdings nicht allein auf malerisch-friedvolle Stimmungsbilder beschränkt. Genauso gibt es bei ihm das schmerzliche Aufbäumen gegen den Lauf des Lebens, das oft, aber nicht immer, in einer Versöhnung mit dem Unausweichlichen endet. Manchmal will sich keine Hoffnung einstellen, wie im Kriegsgedicht „Oktober 1944“, wo es heißt: „Durch entlaubter Äste Gitter / Blickt der Winter todesbitter“ (S. 59). Gerade diese Spannbreite in der Reflexion des Herbstthemas macht das Bändchen mit Hesses Texten und Aquarellen zu einer lohnenswerten, nachdenklichen Lektüre für diesige Septembermorgen, strahlende Oktobernachmittage und nasskalte Novemberabende.

[Die Seitenangaben beziehen sich auf Hermann Hesse, Herbst (Berlin: ebook Insel Verlag, 2010)]

Kommentare

Zissi kommentierte am 07. März 2015 um 06:46

Was für eine schöne Rezension, trotz ihrer Kürze. Da bekommt man mitten im Frühling Lust auf Herbstgedichte.