Rezension

Mitreißend erschreckend, ehrlich

Libellen im Kopf - Gavin Extence

Libellen im Kopf
von Gavin Extence

„Libellen im Kopf“ von Gavin Extence ist eines dieser Bücher, die mich ein klein wenig zerstört zurück gelassen haben. Das ganze Ausmaß des Buches wird einem erst bewusst, wenn man wirklich die allerletzte Seite gelesen hat, oder das Nachwort des Autors, oder vielleicht auch erst lange danach.

Als ich das Buch begonnen hatte, war ich zuerst ein wenig verwirrt, denn das Verhalten von Abby kam mir so skurril vor. Zwar wusste ich, dass es um eine depressive Persönlichkeit ging, doch irgendwie passte das Verhalten nicht recht dazu, denn sie war einfach nur kindisch und irrational. Ich muss gestehen, dass ich Abby so unsagbar unsympatisch und doof fand, dass ich kaum Lust hatte, das Buch weiterzulesen. Auch in der Interaktion mit anderen wurde es einfach nicht besser und ich dachte mir: „Wie kann man nur so sein?“. Doch dieses Buch baut sein wahres Inneres erst allmählich auf und ich bin sehr froh, dass ich es nicht weggelegt habe. Meine Empfindungen zu diesem Buch haben sich um 180° gedreht, von „vollkommen schrecklich“ bis „einfach grandios“. Die Widersprüchlichkeit der Empfindungen ist für mich ein Teil des Buches und spiegelt im Grunde die Hauptfigur Abby vollkommen wieder.

Abby ist eine junge Frau, die an einer Bipolar-II-Störung leidet, d.h. sie ist manisch depressiv, hat überwiegend schlechte Phasen, aber auch die völlig konträren Hochphasen, in denen sie Risiken eingeht und verrückte Dinge tut, die ihr in diesem Moment jedoch völlig logisch und gerechtfertigt erscheinen. Sie führt eine Beziehung, die nicht gut läuft, auch der Kontakt zu ihrer Familie ist schwierig und das Arbeiten fällt ihr, genau wie das restliche alltägliche Leben, sehr schwer. Einzig und allein zu ihrer Therapeutin hat sie ein wenig Vertrauen, was ihr letztlich das Leben rettet.

Man kann jede einzelne Phase voll und ganz miterleben und ich glaube, dass Gavin Extence es schafft, nur mit seinen Worten zumindest einen Bruchteil der Gefühle von Abby auf den Leser zu projizieren. Es ist anstrengend, lustig, schnell, langsam, frustrierend und traurig zugleich, diesen Weg mit Abby zu gehen, aber jede Anstrengung lohnt sich und letztlich ist es spannend ihre Gedanken zu verfolgen.  Sowohl während des Lesens, als auch jetzt noch bin ich mit meinen Gedanken sehr viel bei diesem Buch und kann mich immer noch nicht richtig davon lösen. Ich bin sogar davon überzeugt, dass ich es ein zweites Mal lesen sollte und dabei noch viel mehr Dinge in der Geschichte und zwischen den Zeilen wahrnehme, die mir zuvor nicht aufgefallen sind.

„Libellen im Kopf“ von Gavin Extence ist eines der Bücher, auf die man sich mit Haut und Haaren einlassen muss und das einen mitreißenden Strudel der Gefühl auslöst. Dieses Buch hat seine ganze Aussagekraft erst auf der letzten Seite völlig entfaltet und bietet so vieles, was man einfach miterleben muss. Zuerst verflucht, zum Schluss geliebt gebe ich diesem Buch 5/5 Punkten.