Rezension

Mitreißende Inszenierung

Rat der Neun - Gezeichnet - Veronica Roth

Rat der Neun - Gezeichnet
von Veronica Roth

Bewertet mit 4 Sternen

Normalerweise beginne ich meine Rezensionen mit einer eigenen kleinen Einleitung in die Geschichte des Buches, doch das ist bei „Rat der Neun“ nicht ganz einfach. Veronica Roth erschafft ein komplexes System einer sich auf mehrere Planten erstreckenden Gesellschaft, in denen zwar Strukturen herrschen, die unseren Bedingungen nicht ganz fremd sind, welche aber in ihrer Ausführung viele Besonderheiten aufweisen, die man in einer Rezension schlichtweg nicht in ihrer Gänze aufführen kann, ohne selbst ein Buch zu schreiben. Somit empfehle ich an dieser Stelle: Lasst euch einfach abholen und genießt die Reise.
   Die Autorin führt den Leser behutsam in ihr Setting ein. Zunächst ist man etwas beunruhigt, ob man sich neben den fremdklingenden Namen der Charaktere auch mit den neuen Bezeichnungen für die Städte, Planeten oder gar Maßeinheiten zurechtfinden wird, doch das Erzähltempo gibt genügend Zeit, im Umgang mit ihnen vertraut zu werden. Somit ist der Leseprozess jedoch etwas verlangsamt, da die Begriffe dem Auge noch nicht gewohnt sind und die Vorstellungskraft deutlich mehr beansprucht wird, als es beispielsweise bei einem Contemporary Roman der Fall ist. Unterstützend kann man sich jedoch das Glossar sowie die Karte über das beschriebene Sonnensystem am Ende des Buches zu Rate holen.
   Insgesamt wirkt die Szenerie des Buches sehr detailreich und erscheint als Gesamtkonzept schlüssig und glaubwürdig. Ein großes Kompliment an dieser Stelle an Veronica Roth für diese Inszenierung. Stellenweise ist allerdings der Verlauf somit auch etwa langezogen, da die Beschreibungen Platz und Zeit beanspruchen. Ich selbst empfand etwa die Einführungen in Traditionen der unterschiedlichen Planeten jedoch als sehr interessant und die somit ausbleibende Action in diesen Abschnitten fehlte mir keineswegs. Es gibt dafür einige rasante Passagen, bei denen mein Blick nur so über die Seiten huschte und ich tatsächlich eine Pause einlegen musste, um Luft zu holen.
   Lediglich ein Übergang zwischen den Kapiteln ist nicht ganz gelungen. Der holprige Sprung wird aber kurz darauf geglättet. Insgesamt ist der Handlungsverlauf überwiegend nachvollziehbar wenn auch vereinzelt vorhersehbar, doch ein „Fehler“ bezüglich der Schicksale (bestimmte Geschehen, die in jeder Variante der Zukunft eintreffen und somit anscheinend unausweichlich sind) ist mir ein großer Dorn im Auge. Es ist möglich, dass die Autorin im zweiten Teil noch auf diese Ungereimtheit eingehen wird, doch wäre eine vorherige Diskussion oder zumindest ein Verweis, dass daran gedacht wurde, an gegebener Stelle definitiv angebracht gewesen. Letztlich ist mir besonders diese Unsinnigkeit im Gedächtnis geblieben und schmälert leider meine Euphorie über die Geschehnisse. Auch in Hinblick auf die Gaben – eine einzigartige Kraft, welche die Zukunft eines Menschen mitgestaltet – hätte ich mir manchmal eine tiefere Auseinandersetzung gewünscht, insbesondere hinsichtlich Ryzek, dem Antagonisten. Ebenfalls kam mir die ein oder andere Handhabung dieser speziellen Fähigkeiten mit Blick auf „Ich fürchte mich nicht“ von Tahereh Mafi bekannt vor. Diese Parallelen empfand ich allerdings nicht als störend, sondern kann hier den Lesern von „Rat der Neun“ mit Interesse an dieser Thematik genannte Reihe empfehlen und andersherum.

   Die zahlreichen Charaktere von „Rat der Neun“, allen voran die Protagonisten Cyra und Akos, sind mit viel Mühe gestaltet worden. Das Buch wechselt zwischen dem personalen Erzähler, wenn es um Akos geht, und der Ich-Erzählerin Cyra. Der Zugang zu Cyra fiel mir dementsprechend leichter, zumal zu Beginn auch der Fokus auf ihrer Person liegt. Sie ist eine wirklich herausragende Protagonistin. Konstant leidet sie unter Schmerzen, die ihren Charakter sehr geprägt haben. Sie ist eine belesene und hervorragende Kämpferin, welche gerne auf Sarkasmus zurückgreift. Cyra ist sich ihren Stärken bewusst, jedoch auch ihren Schwächen und ihre Auseinandersetzung mit letzteren weckt Bewunderung. In der Figur spiegelt sich ein Wechselspiel zwischen Gefahr und Sicherheit wider.
   Akos wird erst nach und nach greifbar. Wirkt er zunächst noch wie der nette Nachbar von nebenan, welches seinen Charakter noch sehr simpel erscheinen lässt, stellen sich mit Verlauf des Buches insbesondere sein Können, seine Loyalität, sein Mitgefühl sowie seine Verletzlichkeit heraus. Dementsprechend ist Akos kein unantastbarer Bad Boy, sondern ein nahbarer Gefährte. Cyra und Akos gehen sehr respektvoll miteinander um. Die Beziehung zwischen beiden Charakteren zueinander wird sehr sacht und behutsam aufgebaut und diese Herangehensweise hat mir sehr zugesagt.
   Hervorzuheben ist ebenfalls die Gestaltung des Antagonisten Ryzek. Er befindet sich im ständigen Zwiespalt mit seinen Handlungen und seinem Empfinden. Dabei ist er unbeschreiblich grausam, aber schafft es auf verstörende Weise trotzdem Mitgefühl zu wecken.
   Die Nebencharaktere zeichnen sich alle durch spezifische Charaktereigenschaften und besondere äußerliche Merkmale aus. So wirken sie ohne Ausnahme authentisch und ergänzen Cyra und Akos als Leitfiguren vollkommen, sodass die vielschichte Weltenstruktur um ein ebenso komplexes Personengeflecht ergänzt wird ohne dass das Zusammenspiel unnatürlich oder überfordernd wirkt.

   „Rat der Neun“ besticht durch ein ausgeklügeltes Weltensystem, in dem ausgearbeitete Charaktere gewillt sind, sich ihren Platz zu suchen, zu erkämpfen und zu verteidigen. Eine Unstimmigkeit stört dabei jedoch massiv mein Empfinden des Handlungsverlaufs. Dennoch bleibt es ein Buch, welches gekonnt Themen wie Verlust, Schmerz, Narben des Lebens und Zusammenhalt thematisiert und dabei den Leser in einen Strudel der Gefühle zieht.