Rezension

Mobbing aus Sicht der uneinsichtigen Täterin

Das wirst du bereuen - Amanda Maciel

Das wirst du bereuen
von Amanda Maciel

Bewertet mit 3 Sternen

Ein schlichtes Cover für ein Buch mit einem brisanten und brandaktuellen Thema: Mobbing unter Jugendlichen - in diesem Fall mit tragischer Konsequenz, denn das Opfer erhängt sich vor lauter Verzweiflung. Dabei wählt die Autorin einen originellen Ansatz, indem sie uns die Geschichte aus Sicht von Sara erzählt, einem der Mädchen, das nun wegen Mobbing mit Todesfolge vor Gericht steht.

Und darin liegt auch schon die große Stärke und die große Schwäche des Buchs: einerseits liest es sich dadurch sehr authentisch und glaubwürdig, und andererseits hat man manchmal das Gefühl, dass ein Großteil der Schuld dem Opfer in die Schuhe geschoben wird - denn Sara sieht gar nicht ein, dass sie irgendetwas verbrochen hat. Emma, so sagt sie, war einfach eine blöde Schlampe, die jeden Monat einen neuen Freund hatte und auch nicht davor zurückgeschreckt hat, anderen Mädchen die Freunde auszuspannen. Da ist doch klar, dass die Mädchen sich wehren! Und dass sie sich umgebracht hat, war ja wohl ihre eigene Entscheidung.

Tatsächlich redet Sara viel darüber, wie der Tod von Emma IHR Leben ruiniert hat. Sie kann nicht einmal mehr ins Nagelstudio gehen, ohne dass sie blöd angemacht wird! Mir fiel es sehr schwer, Sympathie und Mitgefühl für Sara zu entwickeln, weil sie sich für einen Großteil des Buches kaum weiterentwickelt. Immer und immer wieder spricht sie mit Anwälten und Therapeuten, und immer und immer wieder beharrt sie stur darauf, dass sie nichts Falsches getan hat. Oder später, dass sie vielleicht doch was Falsches getan hat, aber dass es ja nicht soooo schlimm war, und sich Emma einfach umgebracht hat, weil sie halt psychische Probleme hatte. Erst gegen Schluss kommt ein wenig Einsicht, aber das sehr plötzlich und für mich nicht sehr überzeugend.

Nur manchmal sieht man eine liebenswerte Seite von Sara. Sie geht z.B. sehr liebevoll mit ihren kleinen Brüdern um und übernimmt sehr viel Verantwortung für sie. Aber meist habe ich über sie nur noch den Kopf geschüttelt. Sie ist eine Mitläuferin, die alles tut, was ihre populäre Freundin Brielle gut findet - sie geht sogar so weit, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, obwohl sie dazu noch gar nicht bereit ist, damit Brielle sie cool findet und wieder netter zu ihr ist. Nach Emmas Tod wird Sara selber von den anderen Schülern geschnitten und gemobbt (wenn auch nicht annähernd so schlimm wie das, was Brielle und sie Emma angetan haben), und nur EIN Junge gibt ihr eine Chance und steht ihr bei... Und da gibt es dann eine Szene, in der er sich mit Sara unterhält - und sie überlegt sich: Ohje, was mach ich denn jetzt, wenn Brielle kommt und mich mit diesem total uncoolen Jungen sieht? Soll ich dann lieber so tun, als würde er mich nerven? An dieser Stelle hätte ich am Liebsten das Buch an die Wand gepfeffert. Sie hat nichts gelernt. Nichts. Wie schon gesagt, die plötzliche Einsicht am Schluss kam für mich zu spät, und zu unglaubwürdig.

Über Emma erfahren wir erstaunlich wenig. Sie hat schon mehrfach die Schule gewechselt - warum? Wir erfahren es nicht. Ja, sie hat wirklich einiges von dem getan, was die Mädchen ihr vorwerfen. Sie hatte tatsächlich mit einer ganzen Reihe von Jungen Sex, und sie hat wirklich mindestens zwei Mächen den Freund ausgespannt. Warum? Ganz leise bildet sich der Verdacht, dass Emma womöglich ein schwerwiegendes emotionales Problem hatte, denn normal und gesund ist ihr Verhalten nicht. Hängt ihr Selbstwertgefühl davon ab, wie sexuell attraktiv sie wahrgenommen wird? Gibt es da in ihrer Vergangenheit vielleicht sexuelle Gewalt? Der Leser kann nur spekulieren.

Ich bin etwas zwiegespalten, was diese Darstellung von Emma betrifft. Natürlich ist es nur realistisch, dass Emma keine Heilige war, dass sie auch ihre Schwächen und Probleme hatte, aber dadurch, dass ihr Verhalten relativ unreflektiert von Sara geschildert wird, könnte ein jugendlicher Leser den Eindruck gewinnen, dass das Mobbing tatsächlich gerechtfertigt war. Mir fehlte zweierlei: die ganz klare Aussage, dass Mobbing nie eine akzeptable Lösung ist, und näheres Eingehen darauf, was denn bei so einer Konfliktsituation die richtige Lösungsstrategie sein könnte. Außerdem kommt niemand in diesem Buch auf den Gedanken, dass die Jungs ja wohl auch nicht ganz unschuldig daran sind, wenn sie ihre Freundinnen betrügen...

Trotz aller Bedenken: das Buch liest sich gut und flüssig, und auf traurige Art und Weise unterhaltsam. Der Schreibstil trifft glaubhaft die Jugendsprache. Es ist durchaus spannend; ich wollte immer wissen, wie es weitergeht - wobei viel von dem, was mich interessiert hätte, dann doch nicht angesprochen wurde. Aber ja, doch, es liest sich ansprechend.

Fazit:
Mobbing - ein brisantes, spannendes Thema, das hier auf ungewöhnliche Art und Weise geschildert wird: aus Sicht der uneinsichtigen Täterin. Leider konnte ich nur wenig Sympathie oder Verständnis für sie aufbringen, und über das Opfer erfahren wir nur wenig - beinahe nur, dass sie wirklich viel von dem getan hat, was die Mobberinnen ihr vorwarfen. Warum? Sowohl bei der Motivation der Täter als auch bei der Motivation des Opfers kratzt der Roman nur an der Oberfläche. Im Endeffekt bin ich mir nicht sicher, was das Buch uns sagen will, denn die Botschaft "Mobbing ist schlecht" kam bei mir nur sehr schwach und undeutlich an.