Rezension

Mordfall in der britischen Besatzungszone

Echo der Toten. - Beate Sauer

Echo der Toten.
von Beate Sauer

Bewertet mit 5 Sternen

Köln, Januar 1947: Friederike Matthée ist seit kurzem bei der uniformierten weiblichen Polizei tätig, Berufsbezeichnung "Polizeiassistentenanwärterin". Normalerweise beschränken sich ihre Aufgaben auf das Durchsuchen und die Vernehmung weiblicher oder minderjähriger Personen, die in Bagatelldelikte verwickelt sind, oder die Unterstützung der männlichen Beamten bei Bordellrazzien.

Zumindest bis weitab in der Eifel ein Kölner Schwarzhändler ermordet wird und es einen Tatzeugen gibt, den sechsjährigen Peter, der bei Kriegsende mit seiner Mutter aus Ostpreußen geflohen und in der Eifel untergekommen ist. Peter weigert sich, mit irgendjemandem zu sprechen, seit man ihn zusammen mit der Leiche von Jupp Küppers am Tatort entdeckt hat. Darum fordert die Royal Military Police in Person von Lieutenant Richard Davies eine weibliche Polizistin mit guten Englischkenntnissen, einem Händchen für Kinder und vorzugsweise in Ostpreußen geboren, zur Unterstützung an. Die Wahl fällt auf Friederike und für sie beginnt die erste echte Ermittlung ihrer bisher noch recht kurzen Polizeikarriere.

 

Dieser Kriminalroman mit historischem Hintergrund hat mir enorm gut gefallen. Zum einen war der Fall spannend und ideal zum Miträtseln, zum anderen wurde die Zeit, in der die Handlung angesiedelt ist, sehr gut dargestellt. In den Nachkriegsjahren, als die alliierten Siegermächte Deutschland in vier Zonen aufgeteilt hatten, und versuchten, die echten Nazis von den Mitläufern zu unterscheiden, und vor allem die Aufgabe hatten, endlich die Demokratie im ehemaligen deutschen Reich Einzug halten zu lassen (zumindest im westlichen Teil davon), war das Verhältnis zwischen Besatzern und Einheimischen sicherlich aus einer Vielzahl von Gründen extrem angespannt.

 

Beate Sauer erzählt den Hauptteil der Geschichte (von einigen kurzen Einschüben abgesehen) aus zwei Perspektiven - Richard Davies vermittelt in seinen Kapiteln die Sicht der Alliierten auf Deutschland und die Deutschen, Friederike Matthée nimmt die entgegengesetzte Position ein, wobei sie aufgrund ihres Alters weder als Nazi noch als Mitläuferin eingeordnet werden kann - sie ist während des dritten Reiches aufgewachsen und kennt einfach nichts anderes. Sie ist keine Judenhasserin, glaubt auch nicht an die arische Herrenrasse, und ihre ehemals wohlhabende, ostpreußische Gutsherrenfamilie empfand die Nazis als proletarisches Gesindel, was aber nichts daran ändert, dass die Matthées gute Miene zum bösen Spiel machten, und Friederikes Vater und Bruder aus freien Stücken der Wehrmacht beigetreten sind, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Ihre eigene und auch die Haltung ihrer Familie erfüllt Friederike mit Scham, und ihr Auftreten gegenüber Davies, der für sie die Siegermächte repräsentiert, ist zu Anfang extrem unsicher.

Richard war vor seiner Zeit bei der MP selbst Frontsoldat, und es kostet ihn oft große Selbstbeherrschung, den Verantwortlichen bei der deutschen Polizei, beziehungsweise den Deutschen im Allgemeinen, gegenüberzutreten. Je nach Tagesform schwankt er zwischen Hass, Abscheu, und manchmal sogar Mitleid, wenn ihm bewusst wird, in welch erbarmungswürdigen Zuständen die Deutschen in diesem harten Winter ihr Dasein fristen.

Dieses Spannungsfeld vermittelt die Autorin ganz nebenbei in den Dialogen zwischen den beiden Protagonisten, in Zeugenvernehmungen, oder indem sie den Leser an Richards und Friederikes Gedankengängen teilhaben lässt. Also keine Angst: es gibt schon hauptsächlich Krimi, und die Geschichtsstunde nur nebenbei.

 

Besonders gut hat mir gefallen, wie die Autorin die Figur der Friederike gezeichnet hat. In historischen Romanen wirken die weiblichen Protagonistinnen manchmal völlig deplatziert - sie treten zu forsch auf, sind so emanzipiert, unabhängig und selbstständig, dass man als Leser einfach nicht glauben kann, dass sie ein Kind ihrer Zeit sein sollen. Aber Friederike kann ich mir gut als typische Frau der Nachkriegszeit vorstellen. Sie wirkt oft völlig verloren, was einen ja auch nicht erstaunt, hat sie doch ihre Heimat, ihren Status und ihr komplettes Selbstverständnis durch die Flucht eingebüßt. Ihr Entschluss, der weiblichen Polizei beizutreten, entstand nicht aus einer Berufung heraus, sondern aus rein wirtschaftlichen Zwängen. Sie ist künstlerisch begabt und zeichnet gerne, und ohne den Krieg wäre sie niemals gezwungen gewesen, überhaupt einen Beruf zu ergreifen. Sie begreift ihre Arbeit zwar einerseits als Glücksfall, weil sie ihr selbst und auch ihrer Mutter ein karges Auskommen sichert, andererseits verabscheut sie jedoch ihre Aufgaben aus tiefstem Herzen. Erst als sie während der Zusammenarbeit mit Davies zum ersten Mal in einen Fall wirklich involviert ist, wird ihr bewusst, dass der Beruf auch erfüllend sein kann, und vor allem, dass sie ein echtes Talent dafür hat, die richtigen Zusammenhänge herzustellen.

 

Der Untertitel "Ein Fall für Friederike Matthée" lässt mich hoffen, dass es nicht bei diesem einen Fall bleiben wird - Beate Sauer war für mich eine neue Autorin, die mich mit diesem Roman, und auch mit ihrem ausführlichen Nachwort, das auf fiktive und tatsächliche historische Handlungselemente detailliert eingeht, auf Anhieb überzeugt hat, daher würde ich Friederike sehr gerne bei neuen Ermittlungen wieder begleiten.

Wer den "Angstmann" von Frank Goldammer mochte, wird sich sicher auch für "Echo der Toten" begeistern können.