Rezension

Murakami zum Abgewöhnen

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki - Haruki Murakami

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki
von Haruki Murakami

Bewertet mit 2 Sternen

Um eine Sache vorneweg zu sagen: ich wollte dieses Buch mögen. Nachdem ich die Beschreibung in der Verlagsvorschau gelesen hatte, habe ich mir sofort das japanische Original bestellt. Und der Anfang - die ersten zwanzig Seiten etwa - war auch wirklich gut: 

Tsukuru Tazaki ist in seiner High-School-Zeit in Nagoya Teil einer Clique von fünf Freunden, und obwohl er nach dem Abschluss seine Heimatstadt verlässt, bleibt die Freundschaft vorerst bestehen. Doch dann sagt ihm einer der Freunde, er solle sich in Zukunft von ihnen fernhalten, er wisse schon warum. Tatsächlich aber weiß Tazaki nicht, weshalb er von den anderen ausgestoßen wurde - war er zu farblos, zu uninteressant, konnte den anderen nichts geben? Ein halbes Jahr ist er dem Suizid nahe, doch irgendwann rafft er sich irgendwie wieder auf und bekommt sein Leben langsam wieder in den Griff. Doch auch 16 Jahre später hat er dieses Ereignis noch nicht so recht verkraftet, und seine neue Freundin ermutigt ihn, Kontakt zu seinen alten Freunden aufzunehmen um seine Gefühle endlich in Ordnung zu bringen. Und so begibt sich Tazaki auf eine Reise in seine Vergangenheit.

Wie gesagt, der Anfang hat mich wirklich mitgerissen. Tazakis Depression wird sehr eindrücklich beschrieben - fast schon zu eindrücklich, wie ich fand, da mir die Szenen sehr nahegegangen sind. Und immer wieder finden sich sehr gute, scharfsinnige und berührende Stellen im Buch. Allerdings haben die vielen schlechten Altmännersexfantasien und der furchtbare Misogynismus dafür gesorgt, dass ich mehrere Male versucht war, das Buch an die Wand zu schleudern.

(Ich habe mich beim Lesen genug darüber aufgeregt, um da zu sehr ins Detail gehen zu wollen, aber Frauen sind in diesem Buch meistens entweder dazu da, Tazaki zu seinem Seelenfrieden oder zu seinem Orgasmus zu verhelfen - im Idealfall sogar zu beidem. Eine seiner Freundinnen kann zwar leider nicht kochen, putzt aber dafür gerne - das ist doch prima! Und die wichtigsten Eigenschaften einer Frau sind in diesem Buch ihre Brüste. Man könnte da sogar ein Trinkspiel daraus machen - jedesmal, wenn die Brüste einer Frau (jeder Frau) zur Sprache kommen, einen Schluck trinken - aber auch mit zwei Flaschen Alkohol kann man sich das nicht schön trinken.)

Aber sogar wenn man über all das hinweg sehen würde (was ich beim besten Willen aber nicht kann) und argumentiert, dass das nicht Murakami, sondern eben Tazaki ist - den Grund, weswegen Tazaki von seinen Freunden verstoßen wurde, hat Murakami sich ausgesucht. Und den kann mir keiner schön reden. Achtung, jetzt folgt ein Spoiler.

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Der Grund ist, dass eines der Mädchen aus dem Freundeskreis behauptet hat, Tazaki hätte sie vergewaltigt. Das hat er allerdings nicht getan. Und wenn ich etwas für problematisch halte, dann den Trope "Frau beschuldigt unschuldigen Mann der Vergewaltigung". Dies passiert in der Realität äußerst selten, kommt in der Fiktion aber überproportional häufig vor. Dadurch setzt sich bei Lesern leicht der Gedanke fest, dass das etwas ist, das regelmäßig passiert, was dazu führt, dass Frauen, die vergewaltigt wurden, erstmal ihre Unschuld beweisen müssen, und dass finde ich gelinde gesagt nicht gut. Dazu kommt noch, dass in diesem Fall noch sehr viel - sagen wir mal Geschwurbel - dazu kommt - die beste Freundin wusste, dass das Mädchen lügt und eigentlich war das Mädchen psychisch sehr labil bzw. hat einfach als erste gesehen, dass so eine Freundschaft nicht ewig hält - sprich, Murakami relativiert die ganze Geschichte selbst so sehr, dass er sich ebenso einen weniger problematischen Grund hätte aussuchen können. Wenn er denn nicht so misogynistisch wäre. 

Im Großen und Ganzen hat mich das Buch mehr geärgert, als dass es mich unterhalten, geschweige denn mir irgendwelche tiefergehende Erkenntnisse gewährt hat. Murakami ist ganz und gar kein schlechter Autor, doch das macht all die vielen schlechten Stellen nur umso schlimmer. Auch finden sich einige Löcher in der Handlung bzw. sehr viele unlogische Aspekte - entweder das oder die japanische Polizei ist äußerst unfähig. (Ich beziehe mich hier auf die Tatsache, dass Tazaki bei einer Mordermittlung der erste Hauptverdächtige gewesen wäre, aber anscheinend in der Ermittlung nicht einmal aufgetaucht ist.) 

Ich habe es wirklich nur aus reiner Sturheit zu Ende gelesen - es war immerhin mein erster "richtiger" Roman auf Japanisch. Allerdings war das definitiv das letzte Mal, dass ich etwas von Murakami gelesen habe. 

Kommentare

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Philipp Buschatz kommentierte am 12. Januar 2014 um 23:15

Respekt, das Buch auf japanisch gelesen zu haben!

Mich hat das Buch allerdings auch ziemlich enttäuscht - gut, dass ich da nicht alleine bin. Zur Verteidigung von Murakami: Tazaki könnte vielleicht doch schuldig sein. Oder jedenfalls nicht ganz unschuldig. Irgendwas scheint mit seinen Träumen nicht ganz zu stimmen. Der homosexuelle Traum (oder was es "wirklich" war) schien sich ja auch auf die Gegenwart auszuwirken; seine Phantasien mit Shiro erscheinen ihm selbst wie eine "Vergewaltigung". Tatsächlich wird dieser Ansatz wieder später relativiert; aber gerade im Kontext mit anderen Murakami-Büchern (ich denke da vor allem an den Prostituiertenmörder in "Tanz mit dem Schafsmann") ist diese Möglichkeit da, auch wenn sie sehr wage ist. "Die wirkliche Welt und eine andere, irreale Welt bestehen zugleich, sie hängen ganz eng miteinander zusammen" hat Murakami in einem Interview zum Buch gesagt. Naja, jedenfalls würde es den Roman interessanter machen, wenn Tazakis Träume auch die Realität beeinflussen. Ich kann deine Kritikpunkte jedenfalls alle unterschreiben (Murakamis Frauenbild halte ich aber für ein anderes, aber das dauert jetzt zu lange, darüber zu schreiben).